Was ich hasse und was mein Weihnachtsessen damit zu tun hat
Ich hasse es, vom ganz grossen Arbeitgeber gering geschätzt zu werden. Das zeigt sich in der monetären Anerkennung. Das zeigt sich aber auch im gross angekündigten Weihnachtsessen, das gestern stattfand. Wir sollten in Bussen nach Schwerin gekarrt werden, an den Weihnachtsmarkt. Auf die Frage, wo es denn was zu essen gibt, gabs immer nur so ein rudimentäres „das wird sich dann finden“. Ich habe mich ehrlich gefreut, ich war noch nie zu Besuch in Schwerin. Man sagte mir, es hätte ein Schloss da. Ich sollte um 8 da sein, weil wir 8:45 einsteigen würden, damit wir pünktlich um 9 Uhr los fahren.
Ich arbeite als Psychologische Psychotherapeutin in Ausbildung mit einem Nettogehalt knapp über dem Minimum, was man uns politisch zugesteht. Jens Spahn erlaubte uns ein Mindestgehalt von 1000.- Euro brutto. Lustigerweise steht mir als Masterpsychologin (die wir alle sein müssen) 4100.– brutto zu. Aber da ich mich in Weiterbildung befinde, macht es auch politisch total Sinn, uns dann 1000.– zuzugestehen. Schliesslich müssen wir noch die Ausbildung bezahlen, Haha. Nun, ich hasse aus tiefster Seele Politiker, und ich werde keine Politiker und auch keine Angehörigen von Politikern behandeln, da kann ich einfach keine Passung finden. Das schwöre ich an dieser Stelle feierlich.
Ich hasse das Gefühl, mir nichts Überflüssiges oder Schönes leisten zu können. Auch wenn das so nicht wirklich stimmt, ist das Gefühl noch da. Seit ich mit meinem PT1 begonnen habe, fühlt es sich so an, als könnte man Armut von dieser Stelle aus gut sehen. Und alles nur, weil ich diese Bezahlung akzeptierte, damit ich auch diese Unterschrift bekomme, dass ich es durchgezogen habe. Dass ich ein Jahr Psychiatrie kann. Versteht mich nicht falsch. Mein Klinikchef, meine Oberärztin, mein Assistenzarzt und meine Kollegen sind toll, ich mag sie. Sie sind kompetent und nett. Damit habe ich aber noch nicht Weihnachtsmarkt-Geshoppt.
Nach dem Einsteigen beginnen die Kollegen dann, eigenartige Flaschen zu öffnen, und eine Weissweinflasche wird rumgereicht. Stimmung wird angeschaukelt, und es geht ganz schnell, bis irgendwelche „gute Laune-Schlager“ zum Besten gegeben werden. Ich hasse Schlager. Nach 10 Minuten muss das erste Bier-Mixgetränk auf Klo, angeblich geht die Tür nicht auf. Es wird kichernd an der Tür hantiert, alle probiere mal, und ein kleveres Mädchen entdeckt, dass man den Knauf drehen muss. Dann öffnen sich die Tür des Bus-Klos. Die Spülung funktioniert angeblich nicht. Ich hasse Busse, und ganz speziell hasse ich Bus-Klos, noch spezieller, wenn die Klos hinüber sind.
Nach weiteren 20 Minuten, wir sind in bester Stimmung, bremst der Bus, und wir rollen auf eine Autobahnraststätte. Alle 8 Busse voller Idioten, die sich zu diesem Abenteuer hinreissen liessen. Diese 8 Busse parkten vor einer Wiese, kotzen die Idioten, die an Bord waren aus, vor 2 Tische, die mit Punsch und Tütenfrass angerichtet waren. Das war unser Weihnachtsessen.

Das stellte mich dann vor die Frage, was ich letztendlich dann Essen soll. Und wie ich verdammt noch mal nach meinen Zahlungen und meinem selbstbezahlten Mittagessen die 6 Stunden Weihnachtsmarkt überlebe. Solche Überlegungen übrigens hasse ich auch. Geplant, in meiner Phantasie, hatte ich ein gutbürgerliches Mittagessen mit Kohlwurst, Ziegenkopf mit Grütze oder was man da so isst, und ich bezahle dann das Getränk.
Zunächst sahen wir uns das Schloss an, das hatte was für sich. Eines Tages habe ich auch vergoldetet Ziegel. Und eine Orangerie. Das liebe ich. Und ich brauche eine Herkulesstatue: Möwe bezwingt Herkules, während Herkules den Stier bezwingt

Soviel Maskulinität haut mich immer völlig von den Socken. Da muss ich einfach grinsen.
Nun ja. Wir sind dann 3 Stunden insgesamt den Weihnachtsmarkt hoch und runter, und die anderen 3 Stunden haben wir die Shopping-Malls von Schwerin leergekauft, weil im Osten ist alles billiger, weiss man ja. Speziell bei Douglas. Und bei H&M. Und bei Rituals. Und bei Jack & Jones. Und bei dem Kerzen, Duft und Papierladen, der auch Kitsch verkauft. Der Kinderglühwein war bezahlbar, aber der Weihnachtsmarkt hatte keine vegane Spritzkuchendingens, die waren mit Ei, aber Nutella gabs dazu vegane. Nach mehreren Nachfragen und Klagen blieben diese Dinger auch nach 3 Stunden vegetarisch. Ich hasse gelegentlich Sturheit, manchmal finde ich sie ganz bewundernswert. Gestern hatte ich Rückenschmerzen, daher hasste ich gestern Sturheit.
Mittagessen gabs in der Shopping Mall beim Vietnamesen. Und dann gingen wir zu Rewe, billiges Wasser kaufen, wir Therapeuten in Ausbildung. Da ich nicht zurück zum Ursprungsort wollte, sondern in die nächstgrössere Stadt, die an meiner Eisenbahnstrecke liegt, musst ich mit einem anderen Bus zurück fahren, nicht denselben mit meinem Team zusammen. Was ich schade fand, aber so kam ich gut nach Hause, so der Plan. Also gingen wir erschöpft zum Bus, in der Hoffnung, möglichst schmerzfrei nach Hause zu kommen (welch ein Irrtum) die Hände voller Taschen mit billigen Schnäppchen, die Pflege hatte sich sehr viel bei Douglas gekauft, deren Schnäppchen waren teurer, aber wenigstens gemeinsam gekauft. Also trennten wir uns beim Bus.
Nun, im Bus dann, mit den „fremden“ Teams, kaum angeschnallt, beginnen kleine Gläschen schrill zu klirren, und die Luft wird irgendwie…nun ja, geladen. Man muss den Leuten lassen, sie sind gut organisiert. Man schiesst sich mit der kompletten Miniauslage ab, die man an der Kasse kaufen kann. In Tiefkühltruhe-fähigen wasserdichten Plastikbeuteln verpackt, da kann man dann auch reinkotzen. Bis auf einen mir unbekannten Mann, der eine grosse Flasche betörend gut riechenden Rum gekauft hatte. Er öffnete die Flasche, und begann zu stöhnen, ganz offensichtlich gings in Richtung Orgasmus. Immer wieder, unter Gelächter, bis wir die Autobahn erreicht hatten. Aber dann war die Scheissflasche alle, weil er sie einmal in seinem Team (5 Leute) rumgereicht hatte. Falsche Orgasmen hasse ich auch.
Und dann liess der DJ „Skandal um Rosie“ laufen. Sie sangen mit, mit einer etwas schweren Zunge. Vermutlich muss man einfach wirklich betrunken sein, um dieses Lied ultimativ „das bästä“ – grossartig zu finden. Aber die Stimmung war absolut Bombe. Ich hasse es, als Einzige nüchtern zu bleiben. Es fühlt sich an, als hätte man den Zug verpasst, auch das etwas, das ich hasse.
Wir fuhren diese Stadt an, und 4 Leute wurden beim Kreisel im Industriegebiet rausgeworfen. Es war dunkel, kalt, laut und alle verschwanden zu ihren Autos. Einer bot mir an, „mich mit nach Hause“ zu nehmen, er konnte schon fast nicht mehr sprechen, und das Angebot so fand ich zweifelhaft. Also blieb ich bei dem Kreisel und suchte das Licht am Ende des Industriegebietes, das man in Form eines Döner-Restaurants weit entfernt sehen konnte. An dieser Stelle ein grosses Danke an den Döner-Restaurant-Besitzer, ich wäre sonst in die falsche Richtung gelaufen. Ich hasse Busfahrer, die mich auf der Autobahnausfahrt einiges nach Sonnenuntergang aus dem Bus werfen, und ich hasse Industriegebiete. Beim Dönerrestaurant gabs dann weit entfernt eine Bushaltestelle, leben, Licht! Und einen Weg zum Bahnhof. Seid ihr sehr erstaunt, das ich müde war und erst heute berichten konnte?