Dezember 22 2021

Berlin

Berlin, ick liebe Dir. Janz ehrlich.

Wärst Du ein Mensch, Du wärst eine Frau. In den 20ern hast Du Mata Hari mit deinem Auftreten die Schau gestohlen; du warst wild, du warst schön. Du bist immer noch grausam. Doch auch das sind jetzt 100 Jahre her. Heute stehst du, die Mata Hari von damals, nachdenklich am Küchenfenster in Kreuzberg oder an der Warschauer, und rauchst bis tief in die Nacht. Du schläfst nicht gerne.  Man sieht Dir die Schönheit der vergangen Tage immer noch an, ein trauriges Lächeln in dem immer noch bezaubernden Gesicht. Du hast 1950 Deinen letzten BH gekauft, bequem musste er sein, praktisch. Irgendwann hast Du  ihn aufgehört, ihn zu tragen, immerhin magst Du es, wenn Du wat luftijet anhast, um noch etwas Freiheit auf Deiner faltigen, trockenen Haut zu spüren. Du riechst abgestanden, staubig, im Mai riechst Du nach Rosenwasser, wer weiss, vielleicht ergibt sich doch noch eine Gelegenheit. Dann hast du deinen frivolen Moment. Gelegentlich lachst Du ein bellendes Lachen, und verwirrst damit deine nähere Umgebung. Es krabbeln Millionen Menschen tagtäglich auf Dir umher, tun die einen Dinge und lassen die anderen. Du wartest geduldig. Manchmal bist du müde. Deine Flüsse sind verschmutzt oder unterirdisch verlegt. Wenn es regnet, sterben die Fische, die es hin und wieder versuchen, bei Dir zu leben. Du bist immer noch ne Schwierige, warst du damals schon. Du bist immer die Hauptstadt gewesen. Nicht immer von dem selben Staat, aber Du warst immer die Königin. Einen König brauchtest Du nie, Du hast Deine Liebhaber. Nebst eigenartigen Berlinern leben sehr viele Viecher bei Dir, seltene Vögel und Silberfüchse, Hasen und Wildschweine.  Du siehst ihnen von Deinem Küchenfenster aus zu. Gelegentlich glimmt die Zigarettenspitze auf, ansonsten sieht man Dich nicht. Du hast eine Zigarettenspitze aus Elfenbein, ein Geschenk der Garbo, auch so eine Mata Hari. Du wartest, ziehst an der Zigarette und verfällst leise weiter. Du krankst an Mietern, welche ihre Wohnungen nicht mehr bezahlen können, an Vermietern, die nicht für die Häuser sorgen wollen, du leidest an zu wenig Grundwasser und an mit Schwermetallen kontaminierte Böden. Manchmal wünscht du dir, sie hätten besser auf dich achtgegeben. Dann zündest du dir eine neue Zigarette an, siehst in das Dunkel und wartest.

Dezember 21 2021

Odins Eierlikör

Ich steh ja auf Weihnachtsmärkte. Ich  stehe auf Adventszeit. Ich bin ein grosser Fan von frischgetöpferten, graubeige-melierten Kerzenhaltern, mit breitem Rand für die Zündhölzer und die Kerzenstummel. Ich liebe handwerklich hergestellten Scheiss, den ich im Geschäft nicht ansehen würde. Nie. Im. Leben. Aus irgendwelchen Gründen fühle ich mich dann wie in einem Stück Kasperle-Theater, bin ein Teil des Dorfes und Teil der Aufführung. Es gibt Bier, es gibt Wurst, es gibt Äpfel, mit Schoko überzogen, es gibt Pilze und es gibt Glühwein. Für die Kurzen gibt es Karussel. Es gibt Stricksocken, es gibt Schals, es gibt Töpferwaren, es gibt vom sauertöpfischen Buchbinder handgeschöpftes Büttenpapier, unbrauchbar zum Schreiben, und für unwissendes Volk wie mich sowieso die Perle vor die Sau geworfen. Ich fühle mich wie Rössli Hüh, von Trudi Gerster vorgelesen: immer am Staunen, etwas dümmlich, verblüfft, was es nicht alles gibt. Das ist eigentlich auch schon alles: Aber ich habe vergessen, zu erwähnen: Odins Eierlikör.

Odins Eierlikör wird bei einem Stand angeboten, der wie der gleichnahmige Gott heisst. Das Emblem sieht aus, als wäre es direkt von Maulafs Helm (Asterix und die Normannen)

 

abgezeichnet. Aber in Rot. Das macht den Eindruck eines behelmten Grillteufels. Odins Stand ist der Grösste am Platz. Verstehe ich gut. Wir werden mit einer Mischung aus Amüsemang und Verachtung gemustert, tragen wir doch die Maske im Gesicht. Odin verkauft alles, was irgendwie hochprozentig ist, und die Städtchenjugend steht da und trinkt.  Selbst hergestellten Eierlikör.

Ich wollte den Kalauer ja verhindern, aber ich schaffe es irgendwie nicht; echt jetzt. Was bringt selbsternannte richtige Kerle dazu, an Odins Stand Likör aus den Eiern vermutlich desselben zu trinken?

Wir flüchten in die Altstadt – auch sie ist voller vorweihnachtlicher Menschen. Aufgekratzte, fröhliche Menschen. Ich mag es, Geschenke einzukaufen. Man befasst sich mit Menschen, die man vielleicht schon lange nicht mehr gesehen hat, um ihnen ne Freude zu machen. Durch den Lockdown und das zu Hause bleiben müssen hatte ich den Eindruck, dass der Weihnachtseinkauf insgesamt mehr als Ausgehen und als etwas Besonderes genossen wurde. Man ist nicht mehr so in Form, das heisst, ist noch schneller erschöpft. Aber es hatte sich, wie ich fand, dennoch gelohnt. Was ich jetzt noch von Husum haben möchte, sind getrocknete Morcheln, für meine Nachweihnachtsblätterteigpastetchen, vegane Sahne und Sauternes. Aber das finde ich alles auch noch!