November 20 2021

Ein kurzer Appell an die Reflektionsfähigkeit

Hallo, meine Lieben;

es wird Winter und die Coronazahlen steigen. Es wird kalt im Land.

Ich weiss gar nicht, wie anfangen. Ich denke, es hat damit zu tun, das wir alle wieder fürchten, eingesperrt (Lockdown) und überwacht (Testpflicht) zu werden, weil ein Teil der Bevölkerung sich weigert, sich impfen zu lassen. Das ist unfair. Denkt man sich. Das ist frustrierend, denkt man bei sich. Es ist ein kräftiger Schlag in das Gesicht des medizinischen Personals.

Man müsste, als mündiger und verantwortungsvolles Mitglied der Gesellschaft auch Verantwortung für die Schwachen und diejenigen, die sich nicht schützen können, übernehmen. Man sollte sich dringend impfen lassen. Und doch gibt es da immer wieder Diskussionen, die im nettesten Fall nur noch als makaber zu bezeichnen sind. Sagt mal, hört ihr eigentlich, was ihr da sagt? Hört Euch mal zu!

Ich kann nachvollziehen, dass man auch mal Dampf ablassen muss. Aber wenn wir ganz ehrlich sind: Die medizinischen Masken stören überhaupt nicht. Und wenn die FFP-2 Masken müffeln, sollte man sie wieder mal wechseln. Grund für den Zorn ist nicht die Maske.

Es liegt daran, dass man sich über die Anderen ärgert. Die Anderen, die Corona-Leugner. Diejenigen, die uns diese Last aufbürden. Diejenigen, die Schuld sind an all den Operationen, die nicht gemacht werden und auf die lange Bank geschoben werden müssen. Sie haben ein grosses Mundwerk, ein riesiges sogar. Sie verziehen es verächtlich. Sie denken sich Chips aus, die man uns einspritzt mit so einer Impfung, und durch die wir Geimpften dann fremdgesteuert sein sollen. Was für ein Horrortrip! Was für ein Lebensgefühl das sein muss! Ohne eine eigene Selbstwirksamkeit, eine Marjonette des Chipherstellers. Überlegt Euch mal, wie sich das anfühlen muss, dieses Lebensgefühl. Und ich glaube nicht, dass man sich so ein Lebensgefühl selbst aussucht. Wir lachen im besten Fall darüber. Auch das muss sich ziemlich beschissen anfühlen.

Mein Mitleid mit derlei Gestalten ist für andere, deren Körper und Leben ernsthaft durch dieses Virus bedroht wird, und die ich mag und um die ich mir Sorgen mache, ebenfalls ein Schlag ins Gesicht. Es geht mir nicht darum,das gute Leben von einem besserem Leben abzugrenzen und zu urteilen. Ich hoffe, das wisst ihr.

Aber ihr alle, vergesst nicht, das Leben, egal wem es gehört, grundsätzlich schützenswert ist. Man darf den einen oder anderen lieber oder viel lieber haben. Das ist legitim. Nicht legitim ist, jemandem medizinische Hilfe zu verwehren, weil er irrationale Ängste hat.

Irgendwie hat es überhaupt keinen Spass gemacht, das zu schreiben. Aber vielleicht hilft es ein bisschen beim reflektieren.

 

September 12 2021

Das Dorffest und die Feuerwehr

Gestern gabs Dorffest. Das erste Dorffest seit Ausbruch von Corona. Den Zettel mit Ankündigung der Festivitäten gabs im Dorfladen. Es wurden Dinge wie Fussballdart und Musik und Fahrten mit dem Trecker angekündigt – Dinge, die Berlin einfach nicht bieten kann 🙂 Auch wenn ich das Datum nicht gut gewählt fand. Es goss in Strömen. Mittlererweile hab ich gelernt, dass das nicht weiter tragisch ist. Manchmal hörts auch auf. Gestern nicht. Machte aber nicht viel aus. Eigentlich wollte ich ja von der Feuerwehr erzählen. Die Feuerwehr hat für die Kinder ein Haus aufgestellt, das die dann auch Löschen konnte. Wenn man den eigenen Wasserstrahl identifizieren konnte. Die Feuerwehr bediente auch den Grill. Und dann….ja dann.

Dann kam die Feuerwehrmusik. Eine Combo aus 4 Bläsern und einer Pauke, vermutlich die Kerntruppe, die für den Beginn von Peter Toshs „Burial“ verantwortlich war.  Die Pauke hatte ihren Frieden. Sie machte gelegentlich „Bumm“. Die 5 Bläser, darunter ein Tenorsaxophon, eine Posaune und vermutlich 2 Trompeten sowie ein Horn, versuchten jeweils, ein Lied gemeinsam zu spielen. Das Tenorsaxophon und die Posaune waren junge Frauen, und definitv auch diejenigen, welche die Stücke ausgesucht hatten; ihr bestreben war sicher, mehr Pepp in die Combo zu bringen. Und dann kam Corona und man konnte nicht mehr üben. Es sollten sich um Dixieklassiker wie „O when the saints“ und „Icecream“  handeln, sowie zwei Rummsbummströöt-Klassiker in bester Marschmanier. Leider waren nicht mal die schmissig. Dazu hatte man keine Kaiserreich-Assoziationen, sondern dachte automatisch an den bösen Schnupfen im Schützengraben. Ich werde vermutlich das nächste mal einen Musik-Schneuz-Kontest initiiern, wo man die besten Hits aus den 80ern Schneuzen kann. Man steht dann in direkter Konkurrenz zu der Feuerwehrmusik. Auf das der Bessere gewinnt!

Juni 1 2021

Giuseppe San Rapido di Milano

Diesen Beitrag schreibe ich auf Anregung meiner Freundin R.W. Ich danke Dir und möchte Dir diese Geschichte widmen. Ohne Dich wäre ich nicht die, die ich heute bin.

Die Kaffeemaschine steht in der Küche; da nicht irgendwo. Sie steht im Zentrum der Küche, leicht bedienbar und von überall her gut erreichbar. Wenn die Sonne auf die Chromleitungen (die eine ist für Wasserdampf zur Milchschaumherstellung, die andere als Heisswasserlieferant) scheint, beginnt für die Kaffeemaschine einen guten Tag; dann beginnt sie sanft zu leuchten, im Sommer werden sogar die Chromrohre warm.

Durch ein unglückliches Mäuschen, das im Keller am falschen Kabel nagte, erhielt die Kaffeemaschine- schlagartig- ein Bewusstsein. Er nennt sich seit diesem Ereignis Giuseppe San Rapido di Milano. Man könnte jetzt einwenden – die Kaffeemaschine ist ein ER?

Vielleicht erklärt sich die Ignoranz des Artikels durch die Kaffeemaschine selbst. Er kann von seinem Platz in der Küche aus fernsehen. Das macht er Mithilfe der Druckanzeigen, die zu den Chromleitungen gehören. Er liebt es, von seinem Platz in der Küche die Jacobs-Krönung-Werbung zu betrachten. Aufgrund der Werbeinhalte kam er zu dem Schluss, das vor allem Frauen auf ihn angewiesen sind. Und da sah er zum erstenmal diesen unglaublichen Dampf, der da aus der Kaffeetasse aufgestiegen ist, golden und weiss und verheissungsvoll. Auch fiel ihm auf, dass Männer den Frauen mit Kaffee eine Freude machen. In der Werbung wie auch sonst. So beschloss er, sich mit den Männern zu solidarisieren und selbst einer zu sein.

Doch wie bei allen Dingen, die zu intelligent für ihre eigentliche Funktion sind, begann Giuseppe San Rapido di Milano sich zu langweilen. Er sah sich in seiner Freizeit gerne italienische Werbung an. Und er erkannte, dass er ein sogenannter „Gebrauchsgegenstand“ war, so wurde er auch behandelt. Er wurde geputzt. Er wurde gepflegt. Doch wurde er auch geachtet, für das, was er war? Konnte man sogar von Liebe sprechen? Wurde er bei seiner Familie so kollegial behandelt, wie das seinen Geschwistern in der italienischen Werbung durch Baristas widerfährt? Waren sie Gefährten eines gemeinsamen Lebenswegs?

In seinen einsamen Nächten, in der die Familie keinen Besuch hatte, und es für ihn nichts zu tun gab, begann er zu recherchieren: offenbar gab es diese Schicksale überall. Offenbar, so fand er heraus, gab es sogar „Nutztiere“, die ihrerseits „Gebrauchsgegenstände“ für sich beanspruchen konnten. Er begann darüber nachzudenken, ob es in dieser Welt verschiedene Schichten und Wertungen gab. War er wertvoller, mit all seinem Chrom, als zum Beispiel ein Tränkesystem? War er, der direkte Diener und Untergebene der Menschen, wertvoller als das Nutztier? War das Nutztier wertvoller? Er begann, an sich zu Zweifeln. Konnte er seinen Wert steigern, wenn er jedesmal, wenn jemand in die Küche kam, sofort einen Kaffee herausgab? Das konnten die einfachsten Tränken. Er fand, dass es eine gute Idee war. Und änderte seinen Namen in Giuseppe San Rapido „L’Espresso rapante“ di Milano. Der neue Name, die neue Identität gab ihm die Möglichkeit, Abstand zu nehmen, und etwas Neues zu sein.

Er bestellte bei Siri (eigentlich hiess sie ja Gabi-Hanna, oder noch einfacher, Shania) 3 Tonnen Illy Kaffeepulver (bei der Menge orientierte er sich an der Menge Ziegel, die der Besitzer seines Kaffees am Tag zuvor bestellt hatte. „Illy“ wie auch „Tonnen“ sagte ihm gar nichts, aber ihm gefiel der Schaum, den er auf youtube betrachtet hatte); Siri hatte nichts dagegen, also schien das die richtige Menge zu sein. Als die Familie am nächsten morgen die Küche betrat, arbeitete er freudig drauflos, aus allen Rohren kam Kaffee (er hatte extra die Rohre umgeleitet, ein lang gehegter Wunsch von ihm). Kaffee für alle, sogar den Kater und den Hund, der alles aufleckte. Bis auf den Hund schien sich jedoch niemand richtig zu freuen. Er beschloss, diese Nacht Kontakt mit einem Getränkesystem aufzunehmen, vielleicht hatte er was falsch gemacht.

Nachts (er war sauber geputzt worden), nahme er mit einem Getränkesystem in der Gemeinde Wasserauen Kontakt auf. Das Getränkesystem hiess Hugo1. Hugo1 war keine Geistesgrösse, aber nach einigem überlegen meinte Hugo1, Schuld sei die Tatsache, dass er eben Kaffee verspritzt habe und nicht Wasser. Man erwarte von ihm auch Wasser, und noch niemand hätte sich jemand beschweren müssen. Klar und kalt, so mögen es die Leute. Giuseppe San Rapido „L’Espresso rapante“ di Milano war beleidigt. Er war ein hochkomplexes, ästhetisches Stück Ingenieurskunst. Was soll er sich weiter mit einer Hilfestellung für Nutztiere unterhalten. Er beschloss, sich nachts mit dem Kühlschrank zu unterhalten, ein Spezialist für kühles Wasser. Der Kühlschrank fand seine Eigenintiative unterhaltsam, merkte jedoch an, dass Menschen es mögen, wenn das Wasser in Flaschen oder eben Behältern wie Tassen untergebracht seien. Ausserdem, so habe ihm Siri gesagt, mögen Menschen phantasievolle Maschinen nicht.

Tags darauf kam ein Mann in braunem Anzug, und kurbelte an einigen Dingen herum, und baute die Chromstangen aus und ersetzte sie durch neue. Ausserdem entfernte er ein Kabel in der zentralen Steuerung. Das sei durchgeschmort, hatte er behauptet. Und es hätte Brandgefahr bestanden. Die Kaffeemaschine merkte, wie sich etwas veränderte…sie konnte jetzt viel schneller denken. Allerdings kam sie nie sehr weit, weil sie sich in Nahe Details verliebte. Ihr war zum Beispiel noch nie aufgefallen, dass der Kater ihn tagsüber auf der Küchenabdeckung besuchte. Dieses zarte Haar, das er auf der Brust hatte! Vorne wurde es hell, hinten beim Körper war es dunkel.Und so fein! Haar für Haar. Im Gesicht war das Haar seltener, dafür viel länger. Der Kater hatte manchmal gelbe Augen, manchmal schwarze; Giuseppe San Rapido „L’Espresso rapante“ die Milano vergass sich komplett in der Betrachtung von Schönheit, die nicht seine eigene war.

Er braute noch viel Kaffee. Die 3 Tonnen Illykaffee, die er bestellt hatte, konnte die Familie an Freunde und Geschäfte weiterverkaufen. Siri wurde durch eine Alexa ersetzt. Man kam ihm nie auf die Schliche. Wenn die Sonne schien, leuchteten die neuen, warmen Chromrohre im Licht.

 

 

März 27 2021

Pessach und der Auszug aus einem alten Leben

Hallo,

ab heute feiern wir Pessach. Zum ersten Mal. Nicht, weil wir irgendwelche Probleme mit Religion haben. Sondern aufgrund der Tatsache, dass das Jüdische in unserer Familie ausgemerzt werden sollte. Meine Uroma (auf dem Auszug des Standesamtes stehen die Namen Graszt, Abt und Ebner) hat meine Oma mit 19 bekommen. Da war sie nach Schweizer Gesetz zu jung für ein Kind. Ausserdem wurde sie von dem Vater meiner Oma sitzengelassen. Meiner Uroma wurde das Kind weggenommen. Meine Oma wuchs bei einem evangelischen Zürcher Pfarrer auf, der es nicht lassen konnte, sie auch zu taufen. Sie hat nie irgendwelche Religion ausgeübt (so wie ich das als Kind erlebt hatte). Ihre Freunde waren die orthodoxen Aschkenasim aus Zürich. Ein zentraler Name war immer wieder Rivgi Gross. Sie schien eine wichtige Rolle im Leben meiner Oma gespielt zu haben.Irgendwann kam dann meine Mutter zur Welt, und wurde bei der Geburt dann auch „Notgetauft“, offenbar, weil ihr junges Leben etwas auf wackligen Beinen stand. So wurde meine Mutter evangelisch-reformiert. Die heiratete dann einen Katholiken. Ich wurde reformiert getauft. Niemand hat sich je um Religion gekümmert. Bis auf die Freunde meiner Oma, die mir jiddisch, Lieder und Geschichten beibrachten und mir irgendwann anboten, mich in die Synagoge zu nehmen. Ich war fasziniert. Ich wollte dazugehören. Meine Mutter weigerte sich. Sie wolle keinen Juden in der Familie, das machte das Leben sehr kompliziert: Koscheres Essen, und Freitagabend Stress, wer jetzt wen abholen sollte, weil ich ja dann weder Zug noch Auto fahren dürfte; zu den weiteren Horrorszenarien, die sie mir ausmalte, gehörten die Pflicht, sich die Haare abzurasieren (sie waren und sind mein ganzer Stolz), und die Pflicht, nach Mottenkugeln riechende dunkle Regenmäntel tragen zu müssen, auch im Sommer. Also ging ich nicht in die Synagoge. Dann eines Tages mussten wir mit „Biblische Geschichte und Sittenkunde“ uns die Synagoge in der Westtangente ansehen. Da war ein sehr geduldiger Rabbi, dem ich diese Geschichte, die ihr da lest, auch erzählt hatte. Er sagte mir, ich sei eine Jüdin. An dem Abend war ich sehr stolz, ohne genau zu wissen, worauf. Vermutlich auf ein Volk, das es geschafft hatte, bis zu mir ins Jetzt,  allen Mordanschlägen zu widerstehen. Ich habe es meine Mutter sicherheitshalber nicht wissen lassen.

Meine Mutter ist mein Drachen und mein Fluch. Irgendwann hab ich es geschafft, mich zu befreien. Wir sind weggezogen, haben ihren Einflussbereich verlassen. Die Mischpoke verlassen. Ich konnte wachsen, und ich konnte frei werden.  Ich bin wieder zur Synagoge, dieses Mal zu Rabbinerin Gesa Ederberg. Auch sie bestätigte: Ich bin eine Jüdin.

Ich fühle mich verwirrt. Ich bin eine Jüdin. Aber ich bin auch keine Jüdin. Ich weiss nicht viel. Ich lese mich ein. Auch kritische Dinge. Ich sollte hebräisch lernen. Das fällt mir so unendlich schwer. Ich kämpfe mich jetzt durch Harry Potter, Stein der Weisen, auf jiddisch. So hab ich wenigstens etwas Kontrolle, ob ich richtig entziffere. Ich habe Hemmungen, wieder in die Synagoge zu gehen, ich kenne niemanden, und fühle mich nicht dazugehörig. Was irgendwie unfair ist, die Geschichte war unfair.

Meine Tochter sehnt sich nach Mischpoke. Nicht nach meinen Eltern, bewahre, sondern nach Zugehörigkeit und Roots. Nu, jetzt sind wir wieder bei Pessach. Die Freiheit, ein freier Mensch und Jude zu sein. Und vielleicht finden wir eines Tages die unbekannte Mischpoke, die unser Familie seit 1919 so gewaltsam verwehrt wurde.

 

Das Bild wurde entnommen auf folgender Site:

Passover Clipart – ClipArt Best

April 21 2019

Ostergeschichte

Der Geier vor mir räusperte sich gedämpft; wie eigentlich alles in diesem Raum gedämpft schien. Das Licht, die Stimme, die Stoffe an den Wänden, die Stimmung, die Schritte der Angestellten. Der Geier vor mir blickte mich fragend an und murmelte: „Eine wirklich schöne Idee, die Eltern auf ewig zu vereinen. Gerade Einzelkinder wünschen sich oft, die Eltern auf dem Kamin stehen zu haben, in Form eines wunderbaren Steins. Diese Dienstleistung gibt es auch für Tiere, aber das ist wohl nicht dasselbe; nur den liebenden Eltern steht es zu, jeden Tag auf einem Ehrenplatz bewundert zu werden“ fügt er scheinheilig hinzu und überreicht mir das Kästchen mit dem funkelnden Stein, zuvor legt er das Kästchen in einen Samtbeutel. Es ist dunkelgrün und trägt den Namen des Bestattungsinstituts. „Sie haben die richtige Entscheidung getroffen.“ Ich nicke, betrübt, und denke an die schmerzhaften Ratenzahlungen für diesen Stein. Der Geier raschelt zur Türe, öffnet sie mit einer leichten Verbeugung.

Meine unter sechzigtausend Bar eingeschmolzenen Eltern in der Tasche betrete ich den Vorplatz des Bestattungsinstituts. Sie lernten zu spät, was Druck ausüben bedeutet. Meine Ersparnisse gingen für diese Diamantbestattung drauf. Meine Rache war posthum. Ich freute mich wie ein kleines Kind. Jetzt würden sie lernen, dass Design wichtig sein konnte; aber vielleicht nicht so wichtig, wie das Kind, das sie nicht mehr haben wollten, als es älter wurde. Im Internet hatte ich einen Goldschmied gefunden, dessen Spezialität es war, Eltern in Ringe zu fassen, deren Form Mode war im Geburtsjahr des Verstorbenen. Hier hatte ich mich für ein stein- und protzverkrustetes Monstrum aus dem Jahre 1950 entschieden. Der farblose Diamant sollte in Gelbgold gefasst werden, ein Material, das sie immer mit minderwertigen und geschmacklosen Menschen, die sich leicht blenden liessen, gleichstellten. Der Diamant würde mit Aquamarinsplittern umfasst werden. Aquamarinsplitter konnte ich mir gerade noch leisten; sie sollten meine ungetrösteten Tränen darstellen. Wenn dieser Ring dann fertiggestellt sein würde, dann, endlich, würden sie von ihren Vorurteilen geheilt. Dazu hatte ich eine Vereinbarung mit einem Pfandleiher vom Herrmannplatz getroffen, der diesen Ring in die Ecke stellen würde, neben dem silbernen Zwei-Franken-Stück aus dem Jahre 1968. So konnten sie die verhassten Ausländer jeden Tag und jede Nacht beobachten. Ihr verdienter Ehrenplatz.

Beschwingt, die Luft so sauber und die Sonne so schön scheinen zu sehen, fahre ich mit meinem klapprigen Rad durch die frischgewaschene, freundlich aussehende Welt, die mir nichts mehr tun konnte.