Februar 17 2019

Lou Reed ahnte sowas ja im Voraus

https://www.youtube.com/watch?v=lPkVt7U0Gvs

Ja, klickt es an; so war mein Lebensgefühl. Ich fahre nach Hagen, an die Postervorstellung! Unser Poster!

Ich komme mal raus! An die Luft. Raus aus der Stadt. Unsere Arbeit (revolutionär übrigens!) wurde an der Uni vorgestellt. Validierung des EPA-SF deutsch. Und wie ich so bin, wollte ich rechtzeitig da sein. Deswegen habe ich mir den Zug rausgesucht, der auch wirklich rechtzeitig da ist. Um 10:00 sollte es losgehen. In Hagen. 9:21 ist mein ICE da. Dann kann ich noch den Bus nehmen. Alles super. Schöne Kleidung, neue Frisur, Schmuck, schöne Schuhe. Alles perfekt.

Der Busfahrer in Berlin hatte um 4:20 keenen Bock, mir ein Ticket zu verkaufen – „ick fah sowieso zum Bahnhof“ und mit einer laxen Handbewegung lädt er mich ein, mich da hinzusetzen und dem Blick auffe Straße – meinen Mund zu halten. Die Reise beginnt gut.

Mein Zug hatte 21 Sekunden Verspätung; eine lässliche Sache. Ein ICE, der irgendwann geteilt werden sollte; die eine Hälfte fährt nach Köln, die andere Hälfte fährt nach Düsseldorf. Ich steige – gewarnt – in die Kölner Hälfte ein. Da wiederum bin ich so geschickt, mich direkt in den Speisewagen zu setzen, und vergnügt mein Frühstück zu bestellen, denn Reisen ist eine Kunst, die man beherrschen sollte.

Ich sitze also in der Düsternis, und fahre mit einem Affenzahn ins Dunkel hinein, und frage mich, wie das so ist mit dem Sonnenaufgang und der Geschwindigkeit, wer wohl schneller ist. Unser nächstes Ziel ist Hannover. Die Mucke meiner Wahl war AC/DC – T.N.T. Ich konnte Bäume ausreissen. Ich war cool. Und dann blieb der Zug stehen.

Es ist nichts, dachte ich nervös. Ein Signal auf der Strecke.  Ich hab 40 Minuten Luft. Es knackt, der Lokführer meldet sich. „Es tut mir furchtbar leid, meine Damen und Herren, ein Leichenfund auf den Geleisen, die Polizei ist vor Ort und der Staatsanwalt gibt die Geleise nicht frei. Es kann sein, dass wir in 5 Minuten weiterfahren, oder aber, dass wir noch in 2 Stunden hierstehen“. 5 Minuten später rollen wir weiter; Hannover ist nicht mehr fern.

In Hannover stehen wir dann 40 Minuten blöd rum. Das gibt wiederum einer Horde besoffener Fussballfans die Gelegenheit, mit uns mitzufahren. Ich entscheide mich, auf Klo zu gehen, ehe die ersten Biere am Boden kleben. Mein Blick fällt auf den Monitor mit den anzufahrenden Bahnhöfen. Da steht Bielefeld – Hamm – Hagen – Köln. Ich bin entsetzt. Ich frage meinen Kellner, warum und überhaupt und  ich muss doch nach Hagen?!? Er lacht mir ins Gesicht. „Willkommen in meiner Welt. Darum ist es gut, wenn die Familie überall verteilt ist. Man weiss nie, wo man Feierabend macht.“ Er ergänzt: „Keine Panik, sie können bestimmt umsteigen; Hinter uns fährt ein Zug nach Köln, den können sie nehmen.“ Die Schaffnerin kommt; sie rät mir, in Bielefeld in den IC nach Köln umzusteigen. „Der fährt“, sie deutet mit dem Daumen über ihre Schultern, „10 Minuten hinter uns“. Schade, eigentlich liebe ich es, ICE zu fahren. Aber egal. Dann bin ich die Fussball-Fans los. Mein Hinweis, dass ich bereits im Zug nach Köln sitze, schmettert sie mit einem bösen Blick ab. „Die ICE-Geleise sind von einem Erdrutsch bei Wuppertal betroffen. Die anderen Geleise nicht.“ ergänzt sie, mit einem Seitenblick auf meine offensichtliche Panik. Ich bin geschlagen, ich weiss, wann ich verloren habe. In Bielefeld steige ich aus, zusammen mit den Fussballfans. 10 Minuten später steigen wir alle (in den pünktlichen) IC nach Hagen. Und die besoffenen Fussballfans entwickeln sich mehr und mehr zu Hooligans. Der ICE, der mit 40 Minuten Verspätung von Bielefeld nach Köln hätte fahren müssen, fiel aus. Dafür fuhr ein ICE ausserfahrplanmässig nach Düsseldorf. Ich denke an Philipp Maloney, den versifften Detektiv des Schweizer Radiosenders. Der hätte jetzt „So geht das!“ gesagt.

Hagen. Hügel und Flüsse, sauber. Zäune. Busse, die effizient und pünktlich an, und abfahren. Offensichtliche Ausländer sitzen auf und neben den Bänken am Rand des Busbahnhofs, betrachten scheu andere Leute. Sieht aus wie das Dorf, das wir verlassen hatten, um in Berlin zu wohnen. Offenbar ein anderes Klima als in Berlin. Berlin beginnt mir schmerzhaft zu fehlen. Ich betrachte die Busfahrpläne. Wie spät ist es jetzt? 11:05, aha. Scheisse. Aber wenigstens n bisschen krieg ich noch mit. Ich frage einen Buschauffeur, welchen Bus ich nehmen muss, zur Fernuni. „Da nehmen sie die Fünfzehn! Hier!“ Und er schliesst die Türe vor meiner Nase. Hier? Ich betrachte die Fahrpläne. Ich sehe keine 15. Doch da fährt ein Bus vor. 327 über Fernuni steht da vorne drauf. Ich bin selig, vielleicht schaffe ich es ja noch rechtzeitig zur Postervorstellung.  Wir fahren los. Unser Busfahrer kennt nur Vollgas und Vollbremsung. Der Bus ist gefedert und mir wird schlecht. Wir hüpfen von Bodenwelle zu Bodenwelle, Küssen abwechselnd das Fenster oder die Stange, an die ich mich so stark klammere, dass ich weisse Knöchel davon kriege. Bei einem Friedhof fährt er voll Schmackes hinter ein auf der Strasse geparktes Auto, dass ich mich plötzlich fragte, ob mein Buschauffeur betrunken ist. Wir hüpfen von Hügelchen über Tälchen zu Hügelchen, und ich betete um ein baldiges Treffen des Hügelchens mit der Fernuni. Kurz vor 12 trafen wir das richtig Hügelchen.

Ich stieg aus.  Ich stand vor der Uni, die gar nicht so gross ist, wie ich dachte, dass sie es ist. Aber es war Samstag, kein Schwein war hier, und ich wusste nicht, in welchem Institut diese Postervorstellung stattfindet. Da die Psychologen seit kurzem ihre eigene Fakultät haben, (aber kein Fakultätsgebäude) versuche ich es bei dem Institut für Kultur- und Sozialwissenschaften. Ich hatte Glück. Und beim hineinrennen höre ich gerade, wie meine Betreuerin sagt: „Das war alles, meine Damen und Herren, wer hat noch Fragen?“

Ich hörte mir die anderen Plakate an. Ausserdem betrachtete ich die Schuhe meiner Lehrer, Betreuer und Kommilitonen. Die Studenten hatten sich aus den Überlegungen sorgfältiger Karriereplanung in Schale geworfen. Was in meinem Fall bedeutete, dass ich bereits 9 Stunden Highheels trug. Mir taten die Füsse weh, und meine Knie knirschten bedrohlich. Gegen 13:00 gingen wir. Ich zog die verdammten Schuhe aus. Auf der Strasse kam mir ein Statistik-Betreuer entgegen, und rief mir zu: „Da unten fehlt etwas!“ ich rief zurück: „Nein, darauf warte ich seit 2 Stunden!“ Er lachte schallend, der kalte Boden tat gut. Mein ICE (die Geleise von Köln nach Hagen waren nicht verschüttet) kam pünktlich. Ich freute mich auf Berlin. Diese Zugfahrt sollte noch schwieriger werden.

In Hamm kamen wir mehr oder weniger pünktlich an. Aber dann fuhr der Zug Schritttempo, das Mikro knackte: „Sehr geehrte Damen und Herren, es halten sich Leute auf den Geleisen auf, wir müssen sie erst fortjagen“ Ich nahm mir Zeit, Einstellungen an meiner Handkamera auszuprobieren.

der Zug fuhr weiter. Wir schleppten uns durch kleine Dörfer mit seltsamen Namen. Sie bestanden aus grellem Licht, Industrieromantik, Rost. Die Türme klangen im Wind bestimmt wie meine Knie. Dann fuhren wir los. Flott, bestimmt, es geht voran. Um dann erneut stillzustehen.

Irgendwie haben wir es dann geschafft und sind weitergefahren. In Hannover, so hiess es, würden wir umgeleitet, wegen irgendwas (ich vermute, wegen dem Staatsanwalt). Unser Lokführer sagte also, erstens, dass alle Züge durchfahren würden. Nächster Halt nach Hannover ist Berlin Hbf. Und zweitens sind alle Anschlusszüge abgefahren. Der Lokführer sagte das auch auf englisch, der arme Kerl, ein gebrochener Mann. Er gab alle Züge an, die abgefahren sind. Stellvertretend empfehle ich Euch das anzuhören, es ist leichter: https://www.youtube.com/watch?v=ygNAnIG8g_E

Ich lag im Zug, müde und liess meine Augen sehen. Passivgucken. Sie schauen sich was an und melden, wenn es etwas zu sehen gibt. Sie meldeten, dass es zwar nichts zu sehen gibt, aber dass die Werbung der Bahn ganz schön unverschämt ist, vor allem, wenn man sich überlegt, dass sie auf Kosten des Bahnpersonals läuft. Aber seht selbst:

mehr KomfortZeit. Mit unseren Services für Sie in diesem ICE. So kann man es auch formulieren. Der Kaffeebarmann kochte Kaffee und lief im Zug herum, aktiver Kaffeeverkauf. Die Zugführerin kam mit einer riesigen Dose Gummibärchen und beschenkte die letzten Reisenden von Hannover nach Berlin.

Meine zusammenfassende abschliessende Meinung zur Deutschen Bahn ist ist komplex. Ich fahre gerne mit der Bahn. Wirklich. Mir fehlt die SBB. Das Zugpersonal der DB ist genauso bemüht wie ich das von der SBB her kenne. Der Lokführer ist gefahren wie ein Irrer und hat auf der Strecke Hannover-Berlin 30 Minuten gutgemacht. Das Bild, das Eisenbahner von sich und der Eisenbahn haben, ist vermutlich überall gleich. Und wenn dieses ideal nicht eingehalten werden kann, leidet das Zugpersonal.

Mein Vorschlag ist die Rück-Verstaatlichung der DB, und eine Weiterbildung zum Thema Zeit- und Zugmanagement bei der SBB. Vielleicht könnte sich die Bahn mit dem Konzept des GA anfreunden? Weil das, was ihr jetzt habt, quält alle.

 


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Veröffentlicht17/02/2019 von klinge in Kategorie "Bizarre Geschichten

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