Februar 20 2023

Warum?

Der Titel ist etwas irreführend. Meine Tochter und ich betrachteten heute nachmittag Bilder aus der Reihe Bastei Galerie der grossen Maler. Für 4 DM der Band, herausgegeben 1964. Unter anderem habe ich da Bilder von Segantini, aber auch Menzel. Das alles liegt bei mir, weil der Postbote aus der Schweiz die nicht mehr haben wollte, aber wegwerfen wollte er sie auch nicht, die waren nämlich noch von seiner Mutter selig! Und bei mir wusste er, ich würde diese Bändchen nehmen, sie aber nicht schänden. Wenn der Arme wüsste!

Meine Tochter brauchte in ihrer Studi-WG Bilder, und die schienen ihr ideal zu sein. Also fragte sie mich, ob sie die mitnehmen kann und aufhängen. Die Bindung geht kaputt, ja, aber eigentlich sind diese Heftchen doch gemacht, um sie aufzuhängen, oder nicht? Also bejahte ich. Und ich wurde überrascht. Denn die Bilder, die mir nicht sonderlich gefallen, weil sie mir zu braun sind, die gefallen ihr. Und die Bilder, die mir gefallen, oder die mich inspirieren, mit denen kann sie nichts anfangen.

So das Bild der Göttin der Liebe von Segantini. Sie fragte mich, warum? sie so da hängt. Hier meine Antwort, Tochter, meine Geschichte an Dich:

WARUM?

„Ach Honey, warum mussten wir unsere Hochzeitsreise in die Alpen reisen? Diese beschwerliche Fahrt auf diesen felsigen Wegen. Die Sutherlands sind mit dem Zug, stell Dir vor! Bis nach Bengalen gefahren. Sie hatten einen eigenen Waggon, und obwohl Lady Sutherland unpässlich war, konnte man doch einen gewissen Komfort und Standard halten! Ein Minimum an Personal war je-der-zeit gewährleistet! Der eigene Koch war immer dabei. Und Honey, guck dir diese Landschaft an. Steine, Kühe und Bäume, in verschiedenen Kombinationen. Ich verstehe wirklich nicht, warum alle in die Alpen fahren!“

„Aber Darling, ich muss doch auch etwas an meine Stellung in Kings College denken! Es soll hier ein Künstler geben, der sehr engagiert malt. Nicht nur Kühe, wenn auch welche in seinen Gemälden auftauchen sollten, wie ich einräumen muss. Doch seine Gemälde strahlen nur von Sonnenlicht, Du wirst sehen, Darling, und ich bin sicher, sie werden dir gefallen. Ausserdem konnten wir so 5 Wochen länger gemeinsame Zeit buchen, der Sommer soll sehr schön sein in den Alpen. Du hast nun mal unter Deinem Stand geheiratet, ich dachte, das sei dir klar! Übrigens, sie mal, dieses Hotel da vorne, ganz nach den neuesten Komfort gebaut und eingerichtet, sollte auch den Standards der britischen Kronfolger genügen.“

„Nun, ja, ich mache Abstriche, Honey, aber du weisst ja, von meinem Geblüt sind die Nachkommen dünn gesäht und haben oft Überbiss, die Armen. Wenigstens den habe ich mir mit dieser Hochzeit erspart. Oh, Honey, die Kutsche wird langsamer, wir scheinen tatsächlich anzukommen! Ach, ich muss nach etwas Kölnisch Wasser verlangen, um mich frischzumachen! Warum betonst Du so Deine Stellung im Kings College? Werden wir noch etwas Kunst zu sehen bekommen? Oh, wie ich die alten Meister liebe. Du weisst, wie ich sie liebe!“

Die Kutsche ruckelte etwas langsamer, und die Pferde kamen zum stehen. Der Master lehnte sein Gesicht nach draussen und gab Anweisungen: „Bitte fahren sie direkt vor den Eingang, Mylady ist erschöpft! Wir haben nicht vor, nach dieser grauenhaften Reise auch noch zu wandern!“ Der Kutscher, ein grober Mann, geboren auf der Scholle des Landes, spuckte auf den Boden und rief etwas sehr kehliges, worauf die Kutsche nochmals zu ruckeln begann. Nach wenigen Metern stand sie abermals, und kleine Jungen in dunkelroten Uniformen mit goldenen Borten und Initialen des Hotels entluden die mit Koffern und Hutschachteln beladene Kutsche.

Der Mann betrachtete seine junge Frau, und lächelte: „Eine Überraschung, meine Liebe. Dieses Hotel hat keine Kosten und Mühen gescheut, und Stuckdecken in der Haupthalle einbringen lassen, so wie in den französischen Schlössern, und die Hoteldecke, da ist eine wunderschön leuchtende Göttin der Liebe angebracht worden. Du wirst begeistert sein! Ich werde in meiner Funktion als Kunstdozent des Kings College einerseits eine Stellungsnahme über den Wert des Gemäldes, das ich noch nicht kenne, abgeben, und andererseits mich informieren und den britischen Kunst- und Kulturwissenschaftlern eine neue Sicht über die Kunst des Kontinents überbringen. Ich freue mich unglaublich auf das Gemälde. Es ist noch nicht lange angebracht, und es soll absolut überwältigend sein! Oh, ich bin absolut aufgeregt!“

„Nein, Honey, du willst arbeiten? Nur weil du eine Stellung an einer königlichen Schule innehast, bedeutet das noch lange nicht, dass du auch arbeiten musst, Honey, war dir das nicht klar, als dir Onkel Albert die Stellung zutrug? Und Stuckatur im Stile der franzöisischen Schlösser, weisst Du, ich mag keine Lilien, Honey, und französische Schlösser sind so….frivol, findest Du nicht auch? Überall hat es Seidentapeten und Satinsofas, wo weiss der Herr alles passieren kann. Aber keine anständigen Kamine, um die herum auch mal ein richtiges fröhliches Fest gefeiert werden kann. Aber nun denn, Du bist die Verpflichtung eingegangen, wie ein richtiger Ehrenmann, dann sehen wir uns diese Liebesgöttin an. Aber in Zukunft machen wir im Urlaub auch Ferien, ja, Honey?!“

Der Kies knirschte unter ihren Schritten, und als der Portier die Türe öffnete und die beiden einliess, prallte die Lady gegen ihren Gatten, der abrupt stehenblieb und die Decke anstarrte.

„Honey, was hast Du was ist denn das??!

Vom Empfang kam ein Mann, der sich die Hände rieb und ihnen entgegeneilte:

„Lord und Lady Chatterley? Willkommen im Hotel des Alpes! Wie ich sehe, ist der Lord Chatterley ein Mann von Kunstverständnis! Ein bekannter hiesiger Maler hat uns eine wunderbare Liebesgöttin geschenkt. Wie war die Reise?“

Lady Chatterley richtete sich auf, ihre Nüstern bebten vor Entrüstung.

„Nun, denn! Meine Familie errichtete das britische Empire. Wir bekämpften die Hottentotten, und wir erfanden die Dampfmaschine, wir finanzierten grosse und kleine Geniestreiche. Wir eroberten Weltreiche! Wir hinterliessen unsere Fussstapfen in der Geschichte. Und sie erlauben sich, dieses laszive, blasse Wesen mit lachhaft vielen Haaren und lachhaft heller Haut als eine Göttin der Liebe zu bezeichnen, nur weil sie lachhaft dünnen roten Stoff um die Hüfte und um die Schenkel trägt? Ich dachte, bei einem Hotel dieser Preisklasse wäre etwas mehr Stoff um die Hüften schicklicher, mein Herr! Aber die Reise war schrecklich, und ich sehe, sie ist an Schrecklichem nicht mehr zu überbieten! Wir sind ganz offensichtlich angekommen! Darling, lass uns gehen! Darling?“

„Honey, ich bitte Dich. Es handelt sich um eine wunderbare Darstellung! Die weisse Haut symbolisiert doch nur die Reinheit! Auch göttliche Liebe ist Liebe, aber sie ist rein! Nichts was nicht auch ein Michelangelo zeigen würde, wird gesehen. Das Haar, die Schaumkronen auf den Wellen, all das zeigt ein Füllhorn an Möglichkeiten. Ihr Blick ist verträumt, nach innen gerichtet, vielleicht denkt sie an ihren Liebsten. Ein wunderbares Gemälde.“

„Wilforth, ich kann mir denken, was dir daran gefällt! Aber einer Frau, und einer Frau von Adel noch weniger, kann dieses Bild nicht gefallen! Es ist vulgär. Vermutlich spricht es deswegen zu Dir! Deine Familie ist auch vulgär!!“

„Honey, sie ist schön. Sie hat schöne Haare, weisse Haut, und weiche, runde Brüste. Sie ist auch mal ruhig, und, das Beste dran, sie hat keinen Überbiss!“

 

 

Februar 19 2023

Dada ad absurdum oder Logiken, die ermöglichen, dass Energien sich sträuben

Naja, so schlimm war es nicht. Kennst Du das? Du erfährst gerade was „bahnbrechend“ Neues, eine Erkenntnis, die youtube oder sonst so ein Kanal extra für Dich aus dem Netz gerülpst hat, zu Deinem Besten wurde es nochmals durch einen Teenager gespült, der Dir die Zusammenhänge sorgfältig erklärt, weil ich bin mit meinen fünfzig Jahren ja auch kurz vor der Demenz, und damit froh, wenn mir geholfen wird, beim Zusammenhänge verstehen. Meine Teenies, mit denen ich mich zu Arbeitszeiten umgebe, sind teilweise sogenannte „Schulverweigerer“. Das heisst nicht gezwungenermassen, dass sie dumm sein müssen. Die klügeren Exemplare beginnen sich zuhause zu langweilen. Sie beginnen zu surfen. Und damit sind sie gefundenes Fressen für die gruslige Welt von Verschwörungstheoretikern, die dann auch noch dazu tendieren, rechtsextrem zu sein. Gespräche mit solchen Inhalten beginnen immer gleich:  „Es könnte doch sein, dass….“. Mein Antwort ist immer etwas enttäuschend…“Nein, das kann nicht sein.“ Oder „Gibt es nicht Energien, die….“ – „Nee, es gibt nur eine Energie. Das ist eine Zahl, eine Einheit, die gemessen wird in Kalorie oder Joule. Es wird eine Kalorie oder 4 Joule benötigt, um einen Liter Wasser um einen Grad Celsius zu erwärmen.“ Wenn ich diese verschwörungstheoretischen Grundlagen für viel Angst und zukünftiger Glaube an flache Erden abgeschmettert habe, kommt dann noch die Logik dran…Solche Sätze beginnen dann oft mit: „Es ist nicht logisch, dass…“ oder „Es gibt verschiedene Logiken, die…“ Meine fade, unglamouröse Antwort ist dann: Logik ist ein Teilgebiet der Wissenschaft, und genau umrissen. Du kannst nicht irgendwelche diffuse Logiken benutzen.“ Heute war die Frage, ob mein Physiker und Göttergatte schon Forschungen oder Entdeckungen gemacht hatte, die irgendwie versteckt oder verboten wurden. Meine Antwort hat den Peak der Langeweile erreicht, in dem ich ihr sagte, dass die Forschung durch die öffentliche Hand bezahlt wird, und dadurch der Öffentlichkeit gehört. Dementsprechend kann man das alles lesen, wenn man das auch möchte.

Dennoch hat unser pseudowissenschaftlicher Diskurs heute einen neuen Tiefpunkt erreicht. Sie fragte mich, was ich für ein Sternzeichen bin. Meine Antwort wurde nicht gross beantwortet. Was mich dann neugierig machte, schliesslich ist die obligate Antwort zu Sternzeichen immer, ob man selbst irgendwie mit dieser Person harmonieren kann oder nicht.  Ich hakte nach. Sie druckste rum, es gäbe so eine Weiterentwicklung des Horoskops, das angepasst sei, an die richtige Zeit. Ich war neugierig, da sie ein Foto in dem Handy hatte. Es war eine schwarze Sonne, in die Tierkreiszeichen eingemalt waren. Ich brummelte ein „Hmmm, interessant, und was ist das denn so? Kennst Du dieses Symbol?“ Sie sah mich verblüfft an, und meinte, nein, bis vor kurzem kannte ich das nicht. Was das denn sei? „Nazikackscheiss, und ich möchte sowas hier eigentlich nicht haben. Finde ich aber interessant, das die Nazis die schwarze Sonne so versuchen zu legitimieren.“ Sie war schockiert, und googelte. Wurde auch fündig. Es wurde dann eine kurze Geschichtsstunde zu schwarzer Sonne, Wewelsburg, Nazikackgrössen und ihre Rolle im Krieg. Sie schmiss das Horoskop weg, so hoffe ich wenigstens.

 

Februar 8 2023

Etwas Fluffiges #1, Zugfahren in Schleswig-Holstein

Wenn man sich in Städten in Schleswig-Holstein aufhält, fällt einem (als Zugfahrer)visuell nichts besonderes auf. Kiel und Flensburg haben nichts, von dem man sagen würde, wenn man aus dem Zug steigt – wOOOOOOOOW! guck Dir DAS an. Aber, Kiel und Flensburg klingen anders als Berlin oder Hamburg. Sie haben Schiffe, die sehr tief tuten, und sie haben Möwen, die Schreien, und sie haben Krähen. Man könnte jetzt behaupten, dass es in Hamburg sicher auch Schiffe hat, die sehr tief tuten. Ja, stimmt, aber die höre ich nicht im Hauptbahnhof oder in Altona. Kiel und Flensburg klingen nach Kiel oder Flensburg. Das ist mir bis jetzt noch nie bei einer Stadt aufgefallen, und ich muss noch rausfinden, was es nach Kiel oder Flensburg klingen macht. Es gibt tatsächlich auch noch eine Gewichtung, die „Kiel“ oder „Flensburg“ ausmacht. Ob man das über das Gehör oder über andere Sinne wahrnimmt, weiss ich auch noch nicht genau, versuche ich aber noch rauszubekommen. Jetzt habe ich mich etwas verloren…tut mir leid.

Wie auch immer, wenn man in den Zug steigt, in Kiel, da gibt es sogar Werbung auf dem Gleis 6a, da fährt man unweigerlich an die Ostsee, und die Ostseebäder machen auf dem Gleis, und nicht etwa auf der Wand daneben, Werbung. Das fand ich bemerkenswert. Kiel weiss, wie man Touristenströme erfolgreich umleiten kann…gut, ich steige also in den Zug nach Eckernförde. Nicht, weil ich das will und weil ich Tourist bin, sondern weil, ihr ahnt es sicher, irgendetwas umgebaut wird, oder zusammengebrochen, weil eingerissen. Reisen mit der Deutschen Bahn. Vielleicht ist auch eine Brücke hinüber. Man will es gar nicht so genau wissen. Und wenn ich nach Husum (Westküste) fahren will, mache ich doch gerne einen Umweg über Eckernförde (Ostküste, aber immerhin doch schon ungefähr selber Breitengrad wie Husum).

Wir fahren los, mit der Regionalbahn. Kiels Norden ist hässlich. Tut mir leid, das zu schreiben, aber mir kommt sonst nichts passendes in den Sinn, ich lasse mich jedoch gerne vom Gegenteil überzeugen. Die Kiel-XY-Haltestellen haben keinen erkennbaren Dorf-/Viertel-/Kiezkern, sondern sind einfach nur unverschleiert ärmlich. Oder, wie die Trashautorin und Ex-Kollegin vermutlich schreiben würde, wurde grobmotorisch industrialisiert. Irgendwann kommt der Nord-Ostseekanal. Es folgt für das erschöpfte, geschundene Auge ein liebliches, sehr ländliches Dorf, wo unser Zug jedoch nicht hält, und dann folgt ein weiteres Dorf, wo der Zug dann doch noch stehenbleibt. Es steigen wenig Leute ein, und einige aus. Wir fahren weiter, und es folgt dann irgendwann Eckernförde. Da muss ich auf den Bus, weil wegen meiner Umleitung. Mich überrascht Eckernförde, es wirkt auf mich wie ein schottisches Fischerdorf – die strohgedecketen Bauernhäuser mussten zugunsten steinverkrusteten, trutzigen Fassaden, die dem Meer trotzen, ojah, das tun sie! weichen. Ich räume ein, dass es geregnet hat, aus allen Löchern, und es vermutlich auch ich Eckernförde strohgedeckte Häuser hat. Dennoch war das eine sehr starke Aura, wenn man das so schreiben kann, die ich wahrgenommen habe, während ich in den wartenden Ersatzbus gerannt bin.

Der längste Abschnitt meiner Zugreise ist bezeichnenderweise mit dem Ersatzbus, über die sanften Hügel der Gegend um die Ostsee.

Wir erreichen rechtzeitig den Anschlusszug in Schleswig. Krass, nicht wahr?

 

 

Februar 7 2023

Jugendarbeit, Heimkinder und die Liebe

Ich arbeite in einem Haus, das sich für den Jugendschutz einsetzt. Was heisst das? Ich habe UMFs, und § 41a, 42 SGB VIII. Löst das bei Euch ein allgemeines Gefühl von HÄH? aus? Ging mir auch so. Das heisst, das wir uns um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (die so toll abekürzt sind) und uns um Inobhutnahmen von Jugendämtern kümmern. Ich dachte, die Geflüchteten würden mehr Probleme haben – Flucht, Misshandlungen aller Art, Kriegserlebnisse. Aber das ist nicht so. Die einen haben ihre Religion, die anderen haben ein Ziel: Wenn sie schon wegmussten, weil das die Mutti so wollte, als sie von der Schule nach Hause kamen, dann wollen sie auch alles richtig machen: Schule, Karriere, Ehrgeiz und Arbeit. Ich habe von diesen Zeugnissen, die diese Kinder mit nach Hause bringen, einfach nur geträumt.

Ich will über die europäischen Kiddies schreiben. Allesamt hatten in ihrem Lebenslauf eine „Bodenwelle“, die sie vom Kurs brachten. Verrückterweise, um jetzt die Metapher weiterzuverwenden, sind diese Bodenwellen nie selbstverschuldet.

So ist jedes unserer Kinder entweder Opfer von politischen Fehlentscheidungen oder aber, Opfer der eigenen biologischen Eltern. Die wenigsten haben Kontakt zu den biologischen Eltern, da das Jugendamt diesen Kontakt verboten hat, da die biologischen Eltern nicht fähig (das hat jetzt nichts mit Finanzierung zu tun) oder willens sind, für die Kinder zu sorgen. So sind sie bei Zieheltern grossgeworden, „bis es nicht mehr ging“. Dann ging der Tanz um passende Heim los. Aktuell sind wir für die meisten unserer Kinder das passende Heim.

Mein Feind Nummer 1 sind Drogen, allen voran der Alkohol. Aber auch andere Drogen, und den Kampf um die Zigaretten habe ich verloren. Ich würde ihnen gerne die Liebe und Wärme geben, die sie brauchen, aber das kann ich nicht. Da würde ich meine Distanz verlieren. Das geht allen Betreuern so, und deshalb hat jeder seine „Favoriten“, für die sie zuständig sind. Da sind sie die Betreuer. Für diese Kinder rennt man einen Ticken weiter als man muss. Dadurch ist die Liebe etwas legitimer.

Der Alkohol und die Drogen geben die benötigte Wärme. Das kostet aber eine Menge. Also verkauft man etwas, um genügend Geld zu haben. Bestenfalls verkauft man Dinge, die einem nicht gehören, wird erwischt und kommt für ein paar Tage ins Gefängnis, um da zu bemerken, dass es gar nicht so toll ist da, und dass man das in Zukunft doch anders machen möchte, auch wenn es schwierig ist, der Weg da hin. Das ist der beste Fall. Der schlechteste Fall ist, dass man den Krempel, den man klaut, auch behält, die Sozialstunden leistet, und den Körper verkauft. Das gibt auch die nötige Motivation, sich komplett zuzudröhnen. Irgendwann kommt man dann von einer „Party“ frühmorgens zurück, komplett seltsam und breit und betrunken, und weiss nichts mehr von der Party. Es stellt sich heraus, dass am Knöchel Einstichstellen sind. Da ich weiss, dass diese Person Heroin nicht (mehr) anrührt, weil ihr als Kind mal richtig übel davon wurde, kann ich nur vermuten, was da lief. Da wir unsere Kiddies nicht einsperren dürfen, weil wir kein Gefängnis sind, hoffen wir jeden Abend erneut, dass unsere Kiddies die Nacht überleben, und nichts allzu wertvolles Klauen, so dass sie bei einem netten Richter mit ein paar Sozialstunden davonkommen.

Doch was, wenn diese Kinder Liebe erfahren hätten? Ich bin überzeugt, dann hätten wir diese „wärmende“ Drogenproblematik nicht.

Langer Rede, kurzer Sinn:

Liebt Eure Blagen, auch wenn sie Euch jetzt gerade komplett nerven. Irgendwann kommt das zurück. Säuft nicht, kifft nicht, nehmt keine Drogen, wenn ihr schwanger seid, Eure Embryonen und Föten haben keine Leber, die können das nicht verarbeiten, und Alkohol ist ein Nervengift, will heissen, das zukünftige Gehirn nimmt sehr viel Schaden. Überlegt Euch, wenn ihr ein Kind adoptiert, oder in Pflege nehmt, ob ihr den zukünftigen beziehungstraumatisierten Teenager auch wirklich lieben könnt, mit Eurem ganzen Herzen, oder ob ihr ihn „abschiebt“ in ein Heim, „weil es einfach nicht mehr geht“.