April 29 2021

Meine schlimmste Reise

Ich hab Euch noch gar nicht von meinem Flug in die Schweiz erzählt:
Ich dachte immer, meine persönliche “schlimmste Reise” sei meine Flix-Bus-Reise mit dem siegestrunkenen, betrunkenen, grölenden radikalen Flügel von Hansa Rostock von Leipzig nach Berlin gewesen. Ich konnte mich steigern.
Meine schlimmste Reise war mein Swiss-Flug von Berlin nach Zürich. Nicht wegen des Wetters, oder weil Flugzeugteile abgefallen wären oder weil Kellerasseln im Sitz gebrütet haben…neee. War alles schön kuschlig. Hab sogar n Keks bekommen, gegen Ende des Fluges.
Zu Beginn des Fluges habe ich jedoch n Sitznachbar bekommen. Der kam nicht alleine. Der kam mit einer Gruppe junger Männer. Diese jungen Männer und mein Sitznachbar, der übrigens etwas älter war als ich, kamen von einem Skisportclub. Dieser Skisportclub kam aus einem berühmten schweizer Kurort in den Alpen. Und den gibts schon ganz lange. Das hat man an den Hoodies gesehen, die sie trugen, und an denen man sehen konnte, dass wir aus dem selben Land kommen. Noch vor dem Start begann ich mich fremdzuschämen. Jeder Sportclub, den ich kenne, hat einen kleinen, etwas stämmigen Hausabwart, der die Schlüssel für alle und alles hat, der im Falle des Skisportclubs weiss, wo der Wachs ist und wo die Ersatzskistöcke sind und der die Übersocken zusammenknotet. Der vor dem Kinderskirennen den Rumipunsch (ohne Alkohol) und den KafiSchnaps vorbereitet. Der Schneefräst. Und aus irgendwelchen Gründen hat er immer einen stark gelockten Bart,etwas zerzaust ungepflegt und eine Zipfelmütze, ein vom Wind rotes Gesicht, und grobe Haut an den Wangen – ich vermutete in diesem Zusammenhang immer die Kälte. So ein Exemplar sass also neben mir. Er kommentierte jeden Fluggast. Da wir eher hinten sassen, mussten wir als erste Einsteigen, kurz nach der Business Class. Er kommentierte die Intelligenz der männlichen Mitreisenden “Blöd – blöder!” und kommentierte die Frauen. Entweder sie gefielen ihm “darf i au mal da anälange duhübschi hahahahahah” oder nicht “du, wänn i so en arsch hätti, müessti en zueschlag zahle hahahahah, aber wiiber mönd ja nië, das ghkunnt von dere emanzipatiooon hahahahah” und und beleidigte die etwas ältere Stewardesse, die vermutlich Vorfahren aus Umgebung Indien hatte. “Jetz darfsch kha Schlëierme!” (Jetzt darfst Du keinen Schleier mehr tragen). Und dann, als ihm echt nichts mehr in den Sinn kam, was erstaunlich lange ging, stand er auf, und begann in einem Rucksack zu wühlen, der irgendwie befremdlich nach Wandern roch. Dann fand er darin eine Schrippe, die mit Salami belegt war. Die mampfte er auf. Die Zähne gelb, der Kiefer mahlten und stampfte. Ich starrte ihn an. Ich vermute ja, dass ich ihn die ganze Zeit angestarrt hatte. Er schluckte. Er stand auf. Begann zu wühlen. Fand noch eine Schrippe. Mnommnommnom. Die Maske im Bart, begann er dann, mit vollem Mund zu kommentieren, wie blöde diese Masken doch sind. Ich beschloss, eine Deutsche zu sein und im Falle einer Dämlichkeit seinerseits, die mich betreffen sollte, einfach nichts zu verstehen. Sein hochalpiner Singsang war sowieso nur in der Wintersaison ertragbar.
Nach anderthalb Stunden drängelten die Zipfelmützen als erste durchs Ziel.

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Januar 31 2021

Gedanken zur Abstimmung in der Schweiz im März 2021

Was ich mir überlege, sind unangenehme Gedanken zum Thema Schweiz und Faschismus.

Als Kind war ich immer sehr stolz, dass mein Land sich nicht an dem Morden beteiligt hatte; auch dass es uns nicht so erging wie den Franzosen und den Engländern. Ich hörte mit offenem Mund den Geschichten meiner Oma zu, die einen Stiefbruder hatte, der „Fröntler“ war und sie als Jüdin regelmässig bedrohte. Woraus dann ja dem Himmel sei dank nix wurde. Gelegentlich war mein Vater im Militär, dann war er ne Woche nicht da und am Wochenende gabs dann Geschichten.

Auch wenn ich in den 80ern heranwuchs, in den Gasthäusern hatte es immer wieder Bilder von General Guisan, wie er nachdenklich und ernst in die Gaststube guckte. Es war immer dasselbe Bild. Es lag auch in meiner Schule, da allerdings erst im Lehrerzimmer, dann auf dem Dachboden. Aber wegwerfen, das machte man nicht. Nicht General Guisan!

Er alleine war das. Er hat uns von dem Bösen, das da uns bedrohte, beschützt. So wurde uns gesagt. Und wir waren stolz, nicht diese furchtbare Schuld auf uns genommen zu haben.

Was leider so stimmt. Der damalige Bundesrat, Giuseppe Motta, traf sich mit Benito Mussolini, privat. Die Absprachen, die sie getroffen hatten, sie heute noch schwer zu rechererchieren. Bundesrat Schulthess hatte von Hitler die Versicherung bekommen, die Schweiz nicht anzugreifen. Ich wage mir nicht vorzustellen, was diesem Versprechen für ein fauler Kuhhandel vorausging.

Langer Rede, kurzer Sinn: Irgendwie hat die Schweiz ihre Rolle im 2. WK nicht aufgearbeitet. Das richtig viel Schweizer Geld in den Russlandfeldzug eingeflossen ist, wurde mir in der Schule nie erzählt oder das der Judenstempel eine Schweizer Erfindung ist. Was ich damit sagen möchte ist nicht, das wir alle böse waren. Ich will damit sagen: Seid nicht so verdammt selbstzufrieden!

Einfachheitshalber habe ich hier einen kurzen Text aus dem EDA (eidgenössisches Departement des Äusseren) fotografiert:

Ach hier wieder etwas, worauf wir stolz sein können. Das macht eine Zivilistation aus, die den Namen verdient- doch moment- was sind die wichtigsten UNO-Übereinkommen zum Schutz der Menschenrechte? Die sind hier nachzulesen.

Da steht auch das da:

Wie können wir uns dann die Abstimmungsunterlagen erklären?

 

DE_volksabstimmung

Spreche ich in der Schweiz wohnhafte Freunde und Bekannte an, erklären mir viele, dass es sich um einen Befreiungsschlag für unterdrückte muslimische Frauen handelt. Diesen Frauen wird jetzt untersagt, ihr Gesicht komplett zu verhüllen. Ich frage mich ehrlich, ob das mit den Grundfreiheiten vereinbar ist.

Denn, ihr grossen Denker:innen für die Rechte der Frau, seid ihr schon mal auf den Gedanken gekommen, das es Frauen gibt, die das tun möchten? Die es für emanzipiert halten, zu ihrem Glauben zu stehen, als Frau. Und zwar genau so dolle, wie sie selbst das wollen. Gibt es. Genau diese Frauen werden jetzt durch ein Gesetz von ihrem Grundrecht abgehalten, so zu sein, wie sie wollen, denn die Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten ist durch dieses Gesetz nicht mehr gegeben.

Ausserdem betrifft das neue Gesetz dann tatsächlich 20-30 Frauen, die sich gerne verhüllen möchten. Maximal 30! Für alle anderen gibts Ausnahmen für Touristinnen.

Zusammenfassend (aber ich bin keine Juristin) ist dieses Gesetz einfach nur illegal, nicht durchführbar und unendlich peinlich. Wenn ihr stolz seid, keine blutige faschistische Geschichte zu haben, dann seid selbst nicht faschistisch. Ein haltloser Vorwurf?

Hier ein Plakat der Nazis, angeblich aus dem Stürmer, das Datum habe ich leider nicht gefunden. Antisemitisch, voller Gewalt und einfach nur widerlich.

Die SVP hat ein ähnliches Plakat zur Linken der Schweiz machen lassen. Kann man recherchieren, wenn man das möchte, will ich nicht verlinken. Die SVP hat den Judenhass jedoch ersetzt. Heute sind Muslime die Bösen.

 

Das „böse“ und Muslime irgendwie zusammengehört, sieht man an dem Molli-Werfenden neben der Verhüllten. Im Initiativtext steht dann auch, dass es darum geht, sich nicht zu verhüllen, denn wer sich verhüllt, der hat möglicherweise eine Gewalttat im Sinn. Zum Beispiel Demonstranten (erkennbar am Molli). Oder eben die Frauen, die sich verhüllen müssen, denn sonst, so die Logik, wird ihnen Gewalt angetan. Und schon sind relativ vernünftige Menschen schockiert, schalten ihr Gehirn aus und wollen nur den armen Frauen helfen. Die Ästhetik – der Mann aktiv mit Molli, die Frau, passiv, daneben.

Nun, die SVP ist nicht irgendeine kleine Splitterpartei. Sie gehört zu den mächtigsten Parteien der Schweiz. Sie ist populistisch und undemokratisch. Offenbar trifft sie einen Nerv. Sie wirbt mit „Tradition“, „Heimat“, „Heimatliebe“ „Patriotismus“ für Hass und Ausgrenzung und ein Gesetz, das nicht mit den Menschenrechten vereinbar ist. Die SVP kuschelt mit Neonazis, namentlich die PNOS (Partei National Orientierter Schweizer). Um diese schwere Behauptung zu untermauern, habe ich Euch einen Vergleich, gefunden auf indymedia – das Parteiprogramm der PNOS verglichen mit dem Parteiprogramm der NSDAP.

Ich liebe die Schweiz. Trotzdem kann ich da nicht mehr leben, weil ich mich nicht mehr wohlfühle. Ich schäme mich für meine Heimatliebe. Weil die Heimatliebe nicht mehr teilen kann, sondern wegen Leuten wie der SVP ausgrenzt. Was ist nur passiert? Wo ist die Neutralität geblieben, die General Guisan verteidigt hatte? Warum wird der Hüter der Beizen und Klassenzimmer so sträflich von „guten“ Schweizern verraten?

 

 

 

 

 

 

 

 

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