Februar 7 2023

Jugendarbeit, Heimkinder und die Liebe

Ich arbeite in einem Haus, das sich für den Jugendschutz einsetzt. Was heisst das? Ich habe UMFs, und § 41a, 42 SGB VIII. Löst das bei Euch ein allgemeines Gefühl von HÄH? aus? Ging mir auch so. Das heisst, das wir uns um unbegleitete minderjährige Flüchtlinge (die so toll abekürzt sind) und uns um Inobhutnahmen von Jugendämtern kümmern. Ich dachte, die Geflüchteten würden mehr Probleme haben – Flucht, Misshandlungen aller Art, Kriegserlebnisse. Aber das ist nicht so. Die einen haben ihre Religion, die anderen haben ein Ziel: Wenn sie schon wegmussten, weil das die Mutti so wollte, als sie von der Schule nach Hause kamen, dann wollen sie auch alles richtig machen: Schule, Karriere, Ehrgeiz und Arbeit. Ich habe von diesen Zeugnissen, die diese Kinder mit nach Hause bringen, einfach nur geträumt.

Ich will über die europäischen Kiddies schreiben. Allesamt hatten in ihrem Lebenslauf eine „Bodenwelle“, die sie vom Kurs brachten. Verrückterweise, um jetzt die Metapher weiterzuverwenden, sind diese Bodenwellen nie selbstverschuldet.

So ist jedes unserer Kinder entweder Opfer von politischen Fehlentscheidungen oder aber, Opfer der eigenen biologischen Eltern. Die wenigsten haben Kontakt zu den biologischen Eltern, da das Jugendamt diesen Kontakt verboten hat, da die biologischen Eltern nicht fähig (das hat jetzt nichts mit Finanzierung zu tun) oder willens sind, für die Kinder zu sorgen. So sind sie bei Zieheltern grossgeworden, „bis es nicht mehr ging“. Dann ging der Tanz um passende Heim los. Aktuell sind wir für die meisten unserer Kinder das passende Heim.

Mein Feind Nummer 1 sind Drogen, allen voran der Alkohol. Aber auch andere Drogen, und den Kampf um die Zigaretten habe ich verloren. Ich würde ihnen gerne die Liebe und Wärme geben, die sie brauchen, aber das kann ich nicht. Da würde ich meine Distanz verlieren. Das geht allen Betreuern so, und deshalb hat jeder seine „Favoriten“, für die sie zuständig sind. Da sind sie die Betreuer. Für diese Kinder rennt man einen Ticken weiter als man muss. Dadurch ist die Liebe etwas legitimer.

Der Alkohol und die Drogen geben die benötigte Wärme. Das kostet aber eine Menge. Also verkauft man etwas, um genügend Geld zu haben. Bestenfalls verkauft man Dinge, die einem nicht gehören, wird erwischt und kommt für ein paar Tage ins Gefängnis, um da zu bemerken, dass es gar nicht so toll ist da, und dass man das in Zukunft doch anders machen möchte, auch wenn es schwierig ist, der Weg da hin. Das ist der beste Fall. Der schlechteste Fall ist, dass man den Krempel, den man klaut, auch behält, die Sozialstunden leistet, und den Körper verkauft. Das gibt auch die nötige Motivation, sich komplett zuzudröhnen. Irgendwann kommt man dann von einer „Party“ frühmorgens zurück, komplett seltsam und breit und betrunken, und weiss nichts mehr von der Party. Es stellt sich heraus, dass am Knöchel Einstichstellen sind. Da ich weiss, dass diese Person Heroin nicht (mehr) anrührt, weil ihr als Kind mal richtig übel davon wurde, kann ich nur vermuten, was da lief. Da wir unsere Kiddies nicht einsperren dürfen, weil wir kein Gefängnis sind, hoffen wir jeden Abend erneut, dass unsere Kiddies die Nacht überleben, und nichts allzu wertvolles Klauen, so dass sie bei einem netten Richter mit ein paar Sozialstunden davonkommen.

Doch was, wenn diese Kinder Liebe erfahren hätten? Ich bin überzeugt, dann hätten wir diese „wärmende“ Drogenproblematik nicht.

Langer Rede, kurzer Sinn:

Liebt Eure Blagen, auch wenn sie Euch jetzt gerade komplett nerven. Irgendwann kommt das zurück. Säuft nicht, kifft nicht, nehmt keine Drogen, wenn ihr schwanger seid, Eure Embryonen und Föten haben keine Leber, die können das nicht verarbeiten, und Alkohol ist ein Nervengift, will heissen, das zukünftige Gehirn nimmt sehr viel Schaden. Überlegt Euch, wenn ihr ein Kind adoptiert, oder in Pflege nehmt, ob ihr den zukünftigen beziehungstraumatisierten Teenager auch wirklich lieben könnt, mit Eurem ganzen Herzen, oder ob ihr ihn „abschiebt“ in ein Heim, „weil es einfach nicht mehr geht“.

 

 

Dezember 1 2022

Der Baum

Es ist wieder soweit. Weihnachten wirft seine langen Schatten voraus. Der Tag, an dem folgendes mehr oder weniger passierte (ich fabuliere manchmal was weg oder dazu), ist noch im November. Meine Tage auf Arbeit sind nicht sonderlich stressig, wir räumen um, auf und weg, daher habe ich auch 4 Ikea-grosse Tüten mit Weihnachtsschmuck im Keller gefunden. Ich arbeite in der Jugendhilfe. Gut 50% der Jugendlichen sind minderjährige Jugendliche aus verschiedenen Teilen Asiens und Afrikas, grösstenteils muslimisch. Sie sind allesamt sehr höflich, sehr hilfsbereit, sehr nett und aufmerksam. Die Tatsache, dass ich eine Frau bin, schmälert mein Ansehen nicht, im Gegenteil. Ich bin die Hausmutti. Die anderen 50% sind Jugendliche, die das Pech hatten, bei Eltern zur Welt zu kommen, die ihr Kind nicht lieben konnten. Sie wurden weggegeben, wuchsen auf der Strasse auf, manchmal mit, manchmal ohne Eltern, wuchsen irgendwie bei den Eltern auf…alles in Eurer Nachbarschaft. Irgendwann merkte das Jugendamt, das was nicht stimmt, und dann kommen sie zu uns. Diese Kinder sind in einem CDU-regierten Deutschland aufgewachsen, wissen zumindest in der Theorie, was Weihnachten bedeutet. Das die Vorgeschichte und Erklärung zu der Geschichte. Diese Kinder sind zwischen 17 und 21 Jahre alt, die Verlängerung bis 21 sollte helfen, die Schule zu beenden und eine Ausbildung zu machen.

Gestern ging ich wieder mal arbeiten, (auch ich hab mal Wochenende) und dann stand da „seit gestern“ eine 3,5 Meter grosse Nordmanntanne in unserem Esssaal. Die Spitze war etwas umgeknickt, und sie lehnte in der Ecke. Der Fuss, der für Weihnachtsbäume vorgesehen ist, stand klein und unbedeutend neben der Tanne. Meine beiden Kolleginnen, beide sehr engagiert, wollten „mit den Kindern“ den Baum schmücken, und sie hätten doch viel zu wenig Schmuck..sie waren so aufgeregt über diese grosse, tolle, wunderbare Aufgabe, dass ich mich erinnert fühlte an meine eigenen Weihnachten, die ich erleben durfte. Ich war etwas überrascht. Immerhin sind diese Frauen erwachsen. Und, „Kinder“! Ja, es sind Kinder, aber sie sind nicht mehr kindlich. Ich ging in den Keller und suchte den Schmuck zusammen. 4 Tüten!! Ich ging in das Esszimmer mit dem Schmuck und sah unsere Nichteuropäischen Jungs, wie sie WM guckten. Sie betrachteten mich, wie ich den Schmuck ablud, und, je nach Temperament, begannen sie zu fragen oder zu kichern. Nun, bei Licht betrachtet, ist dieses Tannenbaummonstrum ziemlich absurd. Und 3,5 Meter für unseren Raum definitiv zu gross – wenn man auch noch bedenkt, dass jeder von ihnen genau ein Geschenk bekommt, im Wert von 20 Euro (das sind dann ungefähr 15 Geschenke). Mir wurde in verschiedenen Sprachen angeboten, eine Säge zu suchen, zu holen, den Baum kleiner zu machen. Niemand kam auf die Idee, Glitterkram befestigen zu wollen. Ich schlug ihnen Vor, mit den Kolleginnen Glitterkram dranzuhängen und Kunstschnee draufzukleben. Die religöseren dankten, und zogen sich zurück. Die weniger Religiösen wollten dann doch lieber WM gucken. Ich suchte meine Kolleginnen, deren Aufmerksamkeit sich zwischenzeitlich auf einer bürokratischen Tätigkeit verkrustete. Ich wartete. Und wartete. Irgendwann sagte mir die superreligiöse, superchristliche Kollegin, ich würde nicht den richtigen Geist, die richtige Atmosphäre verstrahlen, und sie bräuchte schöne Weihnachtsmusik. Ich entgegnete, dass noch November sei. Und dass ich speziell poppige Weihnachtslieder, wie sie zum Beispiel Wham! produzierte, hasse. Dazu singe ich Last Chrismas sehr schnell mit irre drehenden Augen und wippendem Kopf. Man betrachtete mich ungläubig. In meinem Fleische wohnt definitiv nichts Gutes, das war in dem Moment auch sofort allen Anwesenden klar. Hab ich dann auch gesagt. Dieses Pauluszitat wurde nicht erkannt. Wieder ein Witz in die Binsen.
Die beiden amüsierten sich dann weiter mit der Bürokratie (wieviel Ferien steht jemandem zu, der innerhalb der Probezeit Ferien nehmen muss, weil die Tage sonst verfallen und kann man grad für das ganze Jahr Ferien nehmen?). Der Schmuck liegt beim Baum, auf dem Tisch. Die Kinder wissen nicht, was das soll.
Die Kinder die geliebt werden, von Müttern, die nicht wollen, dass die Taliban sie zu Mördern macht, sind keine Christen, und, btw. Kabul zum Beispiel, liegt oberhalb der Baumgrenze. In Afrika wachsen keine Nordmanntannen.
Die Deutschen, die Wissen, dass man was bekommen sollte, bekommen nichts von ihren Eltern.
Und ich, ich bin nicht in der richtigen Stimmung zum Baumschmücken, mit oder ohne Weihnachtspop.

Oktober 27 2022

Risiken und Nebenwirkungen

Kiffen geht jetzt bald, habe ich gehört. Es hängt noch n komplizierten Rattenschwanz dran, 20 Gramm, aber nur, wer erwachsen ist, undsoweiter.

Ich oute mich mal als Nichtkiffer, beziehungsweise hab mal probiert, aber irgendwie hats nicht wirklich gewirkt. Ich kam ins plaudern, aber das kann ich auch so. Fand ich insgesamt total enttäuschend. Ich oute mich auch als jemand, der das Gehirn als Wunderwerk der Natur betrachtet, und jeden der das nicht als das würdigen kann, was es ist, nämlich als ein Geniestreich der Evolution…nun, ich beäuge diese Personen zumindest misstrauisch.

Es gibt eine Reihe von Papers, welche die Harmlosigkeit von Haschisch belegen kann, Quellen dazu gibts in jedem Kifferforum, das etwas auf sich hält. Es gibt eine Reihe von Papers, welche die Schädlichkeit von Cannabis belegen kann, auch die kann man finden, wenn man möchte.

Ich kann in meinem digitalen sozialen Netzwerk mit grossen Augen von meinem letzten klinischen Erlebnis mit Drogenpsychosen berichten. Aber man wird mich 100%-ig aufklären, dass ich irre, und vermutlich war es schlechtes Gras, und die Person hat das nicht vertragen, und, und, und. Und vermutlich war noch etwas Kokain und MDMA im Patienten drin, und dann weiss man eh nicht, was jetzt genau die Psychose ausgelöst hat, ja vermutlich etwas anderes, Hanf ist ja „sanft“. Alkohol ist sowieso schlimmer, was ja auch stimmt.

„Man“ weiss, Hanf hilft. Hanf ist vermutlich das Kraut, das gegen alles gewachsen ist.

Hanf hilft bei Krebs. Stimmt, und Eibe hilft auch, Eibe hilft vermutlich sogar stärker. Trotzdem nehme ich kein Eibengift zu mir, es sei denn, ich hätte tatsächlich Krebs. Ich stehe auf Weidenrinde bei Kopfschmerzen. Aber dazu warte ich, bis ich Kopfschmerzen habe. Ist der Schmerz derber, zum Beispiel bei einem gequetschten Brustwirbel, dann helfen auch der Saft des Schlafmohns. Ganz geil kommt das dann auch in Kombination mit Pink Floyds „Shine on you Crazy Diamond Part I-V“. Man vergisst, dass man überhaupt einen Rücken hat. Solche Dinge nehme ich nur gegen ärztliches Rezept, von der Versicherung bezahlt.

Ihr ahnt, worauf ich hinaus will: Ich finde, man sollte diese Pflanze nicht nur als Rauschmittel betrachten, sondern als ein Heilmittel, wenn man es auch tatsächlich braucht. Wie die Eibe, der Fingerhut und der Schlafmohn. Aber ich weiss auch, dass es hoffnungslos ist, gegen den Konsum von so lockenden und süchtigmachenden Stoffen anzuschreiben.

Also werde ich damit Geld verdienen. Ich mache ein Formular, anwendbar für alle Kliniken in Deutschland.

Fixierung-für-Dummies-und-Psychonauten(1)

 

Fixierungen, so sieht es der Gesetzgeber vor, sind das letzte Mittel. Sie sind auch in Kliniken unbeliebt und belastend für diejenigen, die sie ausführen müssen. In der Regel wird man vor der Fixierung vom (halluzinierenden, psychotischen) Patienten als Faschist beschimpft und angespukt, geschlagen, gekratzt, getreten, beleidigt. Fixierte dürfen, so will es der Gesetzgeber weiter, nicht alleine sein, zu ihrer eigenen Sicherheit. Also lässt man die Studenten bei den Fixierten (Studenten, so der Grundtenor, finden das interessanter als die FSJ-ler). Es geht oft sehr schnell, bis der Patient herausfindet, dass der Student ihm jetzt den Schwanz anfassen könnte, oder ähnlich geile Spielchen. Die psychotischen Mädels schreien oft und mal rum, dass man sie vergwaltigen wird. Die Angst ist echt. Es sind Horrortrips, für alle Beteiligten.

Oft bekommen sie auch antipsychotische Medikation, das hilft dann auch beim Einschlafen, und/oder krasse, ganz und gar unsanfte Benzodiazepine, die helfen beim runterkommen und ruhig werden. Dagegen kann und darf man sich auch wehren. Patienten vergessen jedoch leider gerne, dass Ärzte grundsätzlich Menschen gerne haben und ihnen auch helfen wollen.

Ich glaube den psychotischen Patienten gerne, das es ihnen nach dem erwachen furchtbar peinlich ist, was sie da alles gesagt hatten. Mich ärgert nur, dass sie immer und immer wieder experimentieren. Reale Gefahren der Giftstoffe abschwächen, und relativieren. Ärzte, Psychologen und Krankenhauspersonal als bestenfalls altmodisch und konservativ, im schlechtesten Fall als faschistoid abstempeln. Wobei das Krankenhauspersonal noch den „Arbeiterschutz“ und Applaus geniessen kann, bei den geneigten Psychonauten.

Merkt man, das mich die Diskussion angkotzt? Zerstört Euer Gehirn, macht nur. Wir machen dann zusammen Übungen. Ich werktags bis um 17:00 Uhr, ihr immer wieder, aufs Neue. Neuronale Trampelpfade knüpfen, falls es doch noch irgendwelche Gedanken hat, die von A nach B huschen wollen, damit sie auf einzelnen Hängebrücken über den Wasserpfützen des zerstörten Gehirns doch noch Wege finden, am Ziel anzukommen.

Wer sich eine Demenz ankifft, naja, der hat dann eine Demenz. Auch das bedeutet Psychosen, aber dann aus anderen Gründen. Inhibitorische Zellen, solche, die (auch unangenehmes) Unterdrücken, werden abgebaut. Also können Angstzustände, die in Euch aufkommen, nicht mehr unterdrückt werden. Ihr werdet psychotisch. Natürlich gibt es auch da Medikamente. Aber die Lebenserwartung ist nicht mehr so doll, und die Lebensqualität ist scheisse. Ihr beginnt Euch an längst vergangene Horrortrips zu erinnern, weil die inhibitorischen Zellen weg sind. Deshalb , so heisst es auch, herrscht in deutschen Altenheimen Krieg. Zum Glück (für die Betroffenen Patienten) sind viele tatsächlich so alt, dass sie mittlererweile endlich sterben konnten. Ich hab schon furchtbare Szenen gesehen, weil der Patient nicht mehr unterdrücken konnte.

Ich schweife ab…geniesst Euer Gras, wie ein Glas Wein, am Geburtstag. Wenn es denn sein muss.

 

 

Oktober 8 2022

„Experten“

Wir kennen das Phänomen. Unsere früheste Begegnung mit dem „Experten“ ist Papi, wie er über sein neuestes Auto fachsimpelt. Oder über Fussball. Wir hören fasziniert zu, wie er über englische Öl- oder Benzinpumpen referiert, die bei der Ausfahrt in das viel zu heisse Italien mit einem nassen Waschlappen gekühlt werden müssen. Oder wie Mönchsgrasmücke an Kormoran vorbei über die Flanke die Ecke über den Kopfball zielgenau auf die Latte in den Schuss getroffen hat. Wir hören zu und verzeihen unseren Vätern oder Brüdern, dass sie ein extrem langweiliges Hobby haben, weil sie gut erzählen. Ein weiteres typisches Anzeichen des „Experten“ liess sich gut in der Schule beobachten: Wenn Lautstärke nicht ausreichte, um auszudiskutieren, ob jetzt Deutschland oder Italien die WM gewinnt, half immer eine Schlägerei. Nachher war klar, wer gewinnen würde. Oder ob Ferrari oder Lamborghini toller waren. (Meine Argumentation, Lamborghini sei doch bloss eine Traktorenmarke, und für Bauern hergestellt, artete seltsamerweise auch immer in eine Schlägerei aus, obwohl ich doch n echtes Argument hatte). Irgendwer kam dann auf die gloriose Idee, die „Experten“ zu vereinen, und erfand das Internet. Ich räume an dieser Stelle ein, dass das vermutlich sogar Experten ohne „“ waren. Verblüffenderweise zählt auch hier die Lautstärke, und die Schlägerei wird mit „don’t feed the troll“ beendet. Wir mutieren von Experten für irgendwas zu „Experten“ für Corona, die Ukrainekrise, die Klimakrise, wir wissen alles über Virobazillofungizide, über Krebsaids und die zuverlässige Behandlung dieser Krankheiten. Meistens hilft eine ordentliche Hühnersuppe, genügend Bewegung und Misteltee, alles andere ist nur im Interesse der Pharmafirmen und nicht fundiert. Wir wissen alles über Politik und was Richtig und was Falsch ist. Und wehe, unser Knoffhoff wird angezweifelt – dann wird es für das restliche Netz Zeit, Popcorn zu braten. Denn die Kontrahenten steigen in den virtuellen Ring, krempeln die Ärmel hoch, und dann geht es rund, bis einer heult.

Mehr schreibe ich nicht, weil ich ja nicht die Moralkeule schwingen will…..

 

September 10 2022

Krieg, in der Ukraine und anderswo, und wie in den sozialen Medien damit umgegangen wird, oder ist Pazifismus nur ein Auslaufmodell für Idealisten?

Bomben, Panzer, Hardware. Luftschlacht, Infanterie. Töten, töten, schlachten, killen, metzeln, rückerobern, vergelten. Russen! Ha, klar, wieder mal die Russen. Zum Glück ist wenigstens auf die Russen Verlass, das sie wiedereinmal die richtig Bösen sind. Achgut, sind alle Russen gleich, und keiner dieser Russen findet den Angriffskrieg gegen die Ukrainer scheisse! Achgut, können wir aufhören zu denken, auchgut, wie ist das einfach! Achgut, muss man ab sofort nicht mehr differenzieren. Lass uns die Meinung der Lieblingszeitung, egal welche, ungefragt übernehmen!

Nein, ich habe keine Lösung. Nein, ich will natürlich auch, dass niemand angegriffen wird. Ja, ich würde, ehe ihr dämlich fragt, auf jeden schiessen, der mich oder meine Liebsten angreifen würde. Aber diese Frage ist sooooowas von Gesinnungsprüfung im Kalten Krieg.
Hört Ihr Euch? Ihr fordert Panzer. Ihr fordert Waffen. Natürlich zur Selbstverteidigung, nicht zum Angriff. Und Ihr vergesst alle NIE WIEDER! Nie wieder Krieg! Nie wieder Genozid! Ich ahne schon, wie ihr waffenlieferung-befürwortende Leute in Schockstarre verfallen werdet, wenn die Opfer Eurer Waffenliefungen in Den Haag beschreiben, was mit deutschen (und schweizer, und italienischen, und französischen, und, und und) Waffen angerichtet wurde. Das ahntet ihr ja nicht! Wenn ihr das gewusst hättet!!! Wenn die Wissenschaftler Gutachten vorlegen, über Massengräber, die Leichen, die Folter, die Narben, sichtbar und unsichtbar. Sie alle werden auftauchen, früher oder später. Es gibt keinen Krieg ohne Kriegsverbrechen.

Woher nehme ich diese Gewissheit? Könnt Ihr Waffenlieferungsbefürworter Euch an den Konflikt von Ex-Jugoslawien erinnern? Die Berichte der Frauen eines Dorfes, die aufs grausamste vergewaltigt und misshandelt wurden; die Uniformen ihrer Peiniger waren serbisch, die Vergewaltiger jedoch kroatisch. Später stellte sich dann heraus, dass alle auf die selbe Idee (falsche Uniform, dann Kriegsverbrechen) gekommen sind. Nicht nur die Serben, obwohl wir uns für die Serben als „böse“ entschieden hatten. Das scheint offenbar menschlich zu sein.  Ihr seid (teilweise) richtig alte Knacker, wie ich ja auch. Ehemalige Hippies, die den Ruf nach Waffen befürworten. Wo ist Eurer Mut zum Frieden, zum Pazifismus? Ich bin sowas von angepisst von Euch. Der TV-Krieg mit den brennenden irakischen Ölquellen? Ich bin sicher, da sind auch brennende Menschen gefilmt worden. Aber die hat man vermutlich rausgeschnitten,  zu viel Brutalität, zu unsauber, nicht medienwirksam.  Schreie hat man nie gehört, wegen von zu hoch gefilmt, außerdem die Flugzeugtriebwerke.

Ohhh, ihr verurteilt „aufs Schärfste“ der Bau eines Fussballstadions in einem ölliefernden sogenannten Schurkenstaat. Und dann guckt ihr auf ein Bierchen „einzelne Spiele“ in eurer Kneipe. Ich bin ein Spiesser, geb ich gerne zu, von mir aus auch ein linker Spiesser, aber ich bin niemals dieser Tartüff, der Ihr seid. Ihr fordert Panzer, ihr fordert Material. Für die Schlacht. Ja, dann geht doch, stellt Euren Luxuskörper der Schlacht zur Verfügung. Alle waffenfähigen Menschen werden gebraucht. Wenn ihr also nicht in die Schlacht ziehen wollt, warum wollt ihr dann Waffen liefern? Zur Abschreckung? Ihr Narren! Ihr kriegsgeilen Narren! Versucht doch erstmal rauszufinden, ob ihr 1) wisst, was Krieg bedeutet – nicht akademisch, sondern persönlich! und 2) bereit für den eigenen Krieg seid – wenn ja, fahrt in die Ukraine, und tötet,  und mehrt mit jeder Leiche, die ihr produziert, Trauer, Wut, Hass, Trauma. Wenn ihr dazu nicht bereit seid, dann arbeitet an einem Frieden, den alle akzeptieren können. Man spricht da wohl auch von einer politischen Lösung. Was wir aktuell gerade tun, wird wohl als „Stellvertreterkrieg“ in die Geschichtsbücher eingehen. Und dann? Dann muss ich der Teil sein, der Verantwortung für Eure Kriegsgeilheit übernehmen muss, weil ich das offenbar duldete! „Oma, sag mal, warum hast du damals nichts gegen diese kriegsgeilen Spinner getan? Warum hast Du nicht versucht, mit denen zu Reden, sie zur Besinnung zu bringen?“ Darauf hab ich keinen Bock. Ihr dürft gerne beleidigt sein, wenn ihr Euch an das Bein gepisst fühlt. Ich fühle mich jedesmal persönlich beleidigt, angegriffen, angemacht, in meiner Würde als fühlender und denkender Mensch, wenn wieder Kriegspropoganda über den Stream rauscht. Das musste jetzt einfach mal gesagt sein. Ich ende jetzt meine Schimpftirade mit Terrorgruppe:  Und am Ende sind alle wieder am weinen, und keiner wills gewesen sein!

Katgeorie:Gekotztes, sauer aufgestossen | Kommentare deaktiviert für Krieg, in der Ukraine und anderswo, und wie in den sozialen Medien damit umgegangen wird, oder ist Pazifismus nur ein Auslaufmodell für Idealisten?
August 12 2022

Resümee

Nicht dass ihr mich jetzt falsch versteht – hier kommt nichts Sinnreiches.

Ich bin faul. Ich turne nicht gerne. Wer aber ein Kind hat, der muss ins MuKi oder, viel moderner, Eltern-Kind-Turnen. Ich hab das vor gefühlt 100 Jahren getan, um diese berühmt-berüchtigten Kontakte zu knüpfen, und um mein Kind mit anderen Kindern spielen zu sehen. Wir waren 4 Muttis. 3 Muttis hatten für ihr Kind ihre Karriere als Supermodel aufgegeben, und der Kugelpunk. Die Models hatten Söhne, ich hab ne Tochter. Wir turnten. Ich hatte einen roten Kopf. Die Models hatten Eleganz. Ich habe es gehasst. Und dann hatte eine davon eine Idee – spielerisch! Sie kaufte eine von diesen Ausziehrohren aus Papier in der IKEA, schön bunt. Die Mamis krochen mit ihrer Brut da durch, und das schnellste Team gewann. Es war mein persönliches Vietnam. Ich blieb da drin irgendwie stecken, und kochte vor Zorn, die Models kicherten und halfen. Ich begann an diesem Tag zu verstehen, warum man Ohren abschnitt und aufhängen muss.

Irgendwann hatten wir auch dieses (Larven)stadium erfolgreich hinter uns gelassen, und meine Tochter ging in die Spielgruppe, die Vorform des Kindergartens. Die Ausdrücke wurden etwas derber, die Landjugend hatte teilweise ältere Geschwister, und dann drehte sich ein Streit zwischen mir und meiner Töchtin darum, ob sie nach dem Sandmännchen auf KiKa noch wachbleiben sollte oder nicht. Ich fand nicht, schliesslich war das der Deal am TV gucken. Sie fand schon. Sie hatte an diesem Tag Spielgruppe und war müde, aber wollte umsverrecken nicht ins Bett. Sie betitelte mich mit einem extrem schlimmen Schimpfwort, und sah mich gespannt an. Ich war baff. Dann atmete ich durch, und fragte sie sehr ruhig, ob sie denn eigentlich genau wisse, was das bedeute, was sie da eben gesagt habe? Sie wurde unruhig, und murmelte dann, das sie eine Vermutung habe. Diese Vermutung erwies sich als falsch. Ich liess sie jedoch im Ungewissen und sagte nur, dass ich das nie wieder hören wolle. Das hat geklappt.

In der Unterstufe hatte sie einen Freund, der mit ihr gelegentlich spielte. Irgendwann beschlossen die beiden, zu heiraten, und fragten mich, ob das für mich in Ordnung sei. Ich meinte: „Wenn ihr Euch ganz sicher seid, dann ist heiraten ne tolle Idee.“ Kurz darauf hatten Sie Streit. Ich hörte meine Tochter sagen: „Wenn du mir nicht so-ffffort meine Polly Pockets gibst, wird das nichts mit heiraten!“. Ich mischte mich nicht ein.

Irgendwann zogen wir nach Berlin um. Die Landjugendumgebung wurde eingetauscht gegen ein aufregende, aber gelegentlich für alle Beteiligten anstrengende Stadt. Die Einschulung bestand aus Zeugnisnoten umrechnen, was ein Amt tut, und von der Schulsekretärin verordnete Gang zum Schularzt, der unsere Tochter entlausen sollte, und impfen, weil sie aus dem Süden kommt. Der arme Kerl starb beinahe vor Scham, als er den Brief gelesen hatte. Nach einem halben Jahr musste sie die Schule wieder wechseln. Es war  eine neue Schule mit sehr vielen neuen Freunden und Freundinnen, und ein paar alten, verbliebenen Freunden, die ebenfalls an die neue Schule wechselten.

Einmal hatte die Tochter statt Turnen Tanzen, und tanzte dabei mit einem (gutaussehenden) Schulkollegen, der eine Freundin hatte. Diese Freundin war eine „Prinzessin“ eines Clans. Sie war sauer und eifersüchtig, und zischte meiner Tochter zu, dass sie (also die Prinzessin) zusieht, dass meine Tochter ihres Lebens nicht mehr froh wird. Und löste dadurch einen SEK Einsatz aus. Der Göttergatte erhielt ein Telefon (Hier ist die Polizei, ihrer Tochter gehts gut), und ich musste sie von der Schule abholen. Sie war aufgelöst und alleine mit zwei grimmigen Superbullen im Schulzimmer.

Was will ich damit sagen? Meine Tochter zieht aus, und ich bin sehr stolz, dass sie diesen Schritt tut. Eltern sollten die Zeit mit ihren Kindern geniessen, auch wenn sie gelegentlich etwas schwierig sein kann. Vergesst nie, dass sie Euch mehr brauchen als ihr sie, beschützt sie, solange sie das wollen und brauchen, und lasst sie fliegen, wenn sie fliegen möchten.

 

Februar 11 2022

Poison, ihr wisst schon, Alice Cooper, oder Genderideen sind noch nicht ganz tot

Irgendwann muss ich mir das auch noch von der Seele schreiben.

Poison – running deep inside my veins….

Ich steh total auf dieses Wrack. Alice Cooper. Irgendwie ist der echt geblieben. Wie auch immer. Mein Göttergatte ist ja Informatiker und Informatiker arbeiten in Firmen, und Firmen machen irgendwann ein Event. Sie kommen dann auf die Idee, dass Partnery auch mitkommen dürfen. Witzigerweise kommt dann immer eine Programmiererin auf die lustige Idee, ne Discokugel aufzuhängen. Und Glitzermikros auszuhändigen, und dann darf man da die Lieblingslieder mit seinem Star mitsingen. Einmal den Glamour spüren. Die 5 Minuten Berühmtheit.

Und wer schon mal an Büroparties war, weiss, dass das erst funktioniert, wenn schon n paar Bier unten sind. Männlich Sozialisierte versuchen sich mit „Paranoid“, Enden muss es mit Bob Dylan, mit etwas Glück kommt noch Bryan Adams, dazwischen noch etwas „we are the world“, beginnen tun immer die Mädchen, weil Mädchen besser und lieber singen. Und ihr das besser könnt. Was singen wir also?   Wir quäkten „Dancing Queen“, wir fühlten die Liebe mit Donna Summer (Itsogooditsogoodusoweiter), wir waren auch mal wild, und wollten n bisschen Spass, so wie Cyndi. L’Isla Bonita sangen wir, betörten die Informatiker mit unserer und Madonnas Eleganz und  technischen Perfektion, sie in ihren Turnschuhen und schlabbrigen Hemden. Wenn ihr Euch jetzt fragt – ich fuhr lange Strecken mit dem Auto mit. Und ich verbrachte meine Nachmittage vor den „Marantz“ Musikboxen meiner Eltern und hörte SWR 3 Popshop mit Frank Laufenberg. Daher kann ich also Mainstreamscheiss bis 1973. Dann fanden die Mädels, dass sich mein Musikgeschmack vermutlich nicht auf yt-Karaoke findet.  Aber ich sagte dann, dass ich Alice Cooper ganz überzeugend nachmachen kann. Inklusive Blicke und Stock in den Boden knallen, aber das wussten die Mädels nicht. Sie wussten auch nicht, wer das ist. Die Jungs waren neugierig. Monkeymind bestellte sich ein Bier.

Naja, was soll ich sagen. Ich mimte Alice; ich suchte mir aus dem Haufen der Frauen ein passendes Lustobjekt aus (dummerweise die Frau vom Chef, woher soll ich das wissen!) Sie war schockiert. Sie fand den Text ganz furchtbar. Und offenbar konnte sie auch englisch.  Irgendwie war dann der Karaoketeil durch, „Paranoid“ und gut wars….warum ich und Alice immer der Partyschreck sind, weiss ich nicht, ich vermute jedoch, dass es mit der kapputten Rollenvorstellung zu tun hat. Die Musik für Mädchen ist lieb, schön, glücklich, etwas rebellisch und harmonisch. Musik für Jungs ist wild, hat blue-notes, ist auch rebellisch, und gelegentlich gewalttätig. Ich plane, „Melody“ zu singen, an der nächsten Büroparty. Joan Jett kann ich nicht entweihen…sie sollte nicht auf Büropartys gesungen werden. Habt ihr noch andere Ideen?

 

Januar 30 2022

Spaltung ist…

ich sitze am Küchentisch und starre nach draussen. Eigentlich sollte ich lesen.

Spaltung ist, wenn Teil-Selbst-Objekt-Beziehungs-Dyade…

…ich betrachte meinen Brillenrand, von innen. Also ich betrachte meine Brille auf meiner Nase von Innen.Wenn ich dann weitersehe, kommt etwa 30 Zentimeter nichts, und dann kommt der tote Basilikum. Er scheint auf der Fensterbank zu atmen, etwas verwischt. Wenn man den Blick weiterschweifen lässt, zwanzig, dreissig Meter, sieht man die oberen Äste eines mächtigen Baumes, wie er im windgeschützen Hinterhofpark seine winterlichen Äste gen Himmel hält. Er bewegt sich im Wind. In dem leeren Raum zwischen Basilikum und Ästen hats gelegentlich Vögel, die durchfliegen, unbestimmbare dunkle Flecken, zu schnell für dieses eher langsame, beinahe träge Bild. Bei näherer Betrachtung stimmt diese Beschreibung auch nicht. Der Baum bewegt sich fast etwas stereotyp, während das Haus im Hintergrund wie ein Schiff im Sturm schwankt. Meine Augen beginnen zu tränen.

Was war da nochmals mit dieser Spaltung gemeint?

 

Dezember 22 2021

Berlin

Berlin, ick liebe Dir. Janz ehrlich.

Wärst Du ein Mensch, Du wärst eine Frau. In den 20ern hast Du Mata Hari mit deinem Auftreten die Schau gestohlen; du warst wild, du warst schön. Du bist immer noch grausam. Doch auch das sind jetzt 100 Jahre her. Heute stehst du, die Mata Hari von damals, nachdenklich am Küchenfenster in Kreuzberg oder an der Warschauer, und rauchst bis tief in die Nacht. Du schläfst nicht gerne.  Man sieht Dir die Schönheit der vergangen Tage immer noch an, ein trauriges Lächeln in dem immer noch bezaubernden Gesicht. Du hast 1950 Deinen letzten BH gekauft, bequem musste er sein, praktisch. Irgendwann hast Du  ihn aufgehört, ihn zu tragen, immerhin magst Du es, wenn Du wat luftijet anhast, um noch etwas Freiheit auf Deiner faltigen, trockenen Haut zu spüren. Du riechst abgestanden, staubig, im Mai riechst Du nach Rosenwasser, wer weiss, vielleicht ergibt sich doch noch eine Gelegenheit. Dann hast du deinen frivolen Moment. Gelegentlich lachst Du ein bellendes Lachen, und verwirrst damit deine nähere Umgebung. Es krabbeln Millionen Menschen tagtäglich auf Dir umher, tun die einen Dinge und lassen die anderen. Du wartest geduldig. Manchmal bist du müde. Deine Flüsse sind verschmutzt oder unterirdisch verlegt. Wenn es regnet, sterben die Fische, die es hin und wieder versuchen, bei Dir zu leben. Du bist immer noch ne Schwierige, warst du damals schon. Du bist immer die Hauptstadt gewesen. Nicht immer von dem selben Staat, aber Du warst immer die Königin. Einen König brauchtest Du nie, Du hast Deine Liebhaber. Nebst eigenartigen Berlinern leben sehr viele Viecher bei Dir, seltene Vögel und Silberfüchse, Hasen und Wildschweine.  Du siehst ihnen von Deinem Küchenfenster aus zu. Gelegentlich glimmt die Zigarettenspitze auf, ansonsten sieht man Dich nicht. Du hast eine Zigarettenspitze aus Elfenbein, ein Geschenk der Garbo, auch so eine Mata Hari. Du wartest, ziehst an der Zigarette und verfällst leise weiter. Du krankst an Mietern, welche ihre Wohnungen nicht mehr bezahlen können, an Vermietern, die nicht für die Häuser sorgen wollen, du leidest an zu wenig Grundwasser und an mit Schwermetallen kontaminierte Böden. Manchmal wünscht du dir, sie hätten besser auf dich achtgegeben. Dann zündest du dir eine neue Zigarette an, siehst in das Dunkel und wartest.

Dezember 21 2021

Odins Eierlikör

Ich steh ja auf Weihnachtsmärkte. Ich  stehe auf Adventszeit. Ich bin ein grosser Fan von frischgetöpferten, graubeige-melierten Kerzenhaltern, mit breitem Rand für die Zündhölzer und die Kerzenstummel. Ich liebe handwerklich hergestellten Scheiss, den ich im Geschäft nicht ansehen würde. Nie. Im. Leben. Aus irgendwelchen Gründen fühle ich mich dann wie in einem Stück Kasperle-Theater, bin ein Teil des Dorfes und Teil der Aufführung. Es gibt Bier, es gibt Wurst, es gibt Äpfel, mit Schoko überzogen, es gibt Pilze und es gibt Glühwein. Für die Kurzen gibt es Karussel. Es gibt Stricksocken, es gibt Schals, es gibt Töpferwaren, es gibt vom sauertöpfischen Buchbinder handgeschöpftes Büttenpapier, unbrauchbar zum Schreiben, und für unwissendes Volk wie mich sowieso die Perle vor die Sau geworfen. Ich fühle mich wie Rössli Hüh, von Trudi Gerster vorgelesen: immer am Staunen, etwas dümmlich, verblüfft, was es nicht alles gibt. Das ist eigentlich auch schon alles: Aber ich habe vergessen, zu erwähnen: Odins Eierlikör.

Odins Eierlikör wird bei einem Stand angeboten, der wie der gleichnahmige Gott heisst. Das Emblem sieht aus, als wäre es direkt von Maulafs Helm (Asterix und die Normannen)

 

abgezeichnet. Aber in Rot. Das macht den Eindruck eines behelmten Grillteufels. Odins Stand ist der Grösste am Platz. Verstehe ich gut. Wir werden mit einer Mischung aus Amüsemang und Verachtung gemustert, tragen wir doch die Maske im Gesicht. Odin verkauft alles, was irgendwie hochprozentig ist, und die Städtchenjugend steht da und trinkt.  Selbst hergestellten Eierlikör.

Ich wollte den Kalauer ja verhindern, aber ich schaffe es irgendwie nicht; echt jetzt. Was bringt selbsternannte richtige Kerle dazu, an Odins Stand Likör aus den Eiern vermutlich desselben zu trinken?

Wir flüchten in die Altstadt – auch sie ist voller vorweihnachtlicher Menschen. Aufgekratzte, fröhliche Menschen. Ich mag es, Geschenke einzukaufen. Man befasst sich mit Menschen, die man vielleicht schon lange nicht mehr gesehen hat, um ihnen ne Freude zu machen. Durch den Lockdown und das zu Hause bleiben müssen hatte ich den Eindruck, dass der Weihnachtseinkauf insgesamt mehr als Ausgehen und als etwas Besonderes genossen wurde. Man ist nicht mehr so in Form, das heisst, ist noch schneller erschöpft. Aber es hatte sich, wie ich fand, dennoch gelohnt. Was ich jetzt noch von Husum haben möchte, sind getrocknete Morcheln, für meine Nachweihnachtsblätterteigpastetchen, vegane Sahne und Sauternes. Aber das finde ich alles auch noch!