Februar 11 2022

Poison, ihr wisst schon, Alice Cooper, oder Genderideen sind noch nicht ganz tot

Irgendwann muss ich mir das auch noch von der Seele schreiben.

Poison – running deep inside my veins….

Ich steh total auf dieses Wrack. Alice Cooper. Irgendwie ist der echt geblieben. Wie auch immer. Mein Göttergatte ist ja Informatiker und Informatiker arbeiten in Firmen, und Firmen machen irgendwann ein Event. Sie kommen dann auf die Idee, dass Partnery auch mitkommen dürfen. Witzigerweise kommt dann immer eine Programmiererin auf die lustige Idee, ne Discokugel aufzuhängen. Und Glitzermikros auszuhändigen, und dann darf man da die Lieblingslieder mit seinem Star mitsingen. Einmal den Glamour spüren. Die 5 Minuten Berühmtheit.

Und wer schon mal an Büroparties war, weiss, dass das erst funktioniert, wenn schon n paar Bier unten sind. Männlich Sozialisierte versuchen sich mit „Paranoid“, Enden muss es mit Bob Dylan, mit etwas Glück kommt noch Bryan Adams, dazwischen noch etwas „we are the world“, beginnen tun immer die Mädchen, weil Mädchen besser und lieber singen. Und ihr das besser könnt. Was singen wir also?   Wir quäkten „Dancing Queen“, wir fühlten die Liebe mit Donna Summer (Itsogooditsogoodusoweiter), wir waren auch mal wild, und wollten n bisschen Spass, so wie Cyndi. L’Isla Bonita sangen wir, betörten die Informatiker mit unserer und Madonnas Eleganz und  technischen Perfektion, sie in ihren Turnschuhen und schlabbrigen Hemden. Wenn ihr Euch jetzt fragt – ich fuhr lange Strecken mit dem Auto mit. Und ich verbrachte meine Nachmittage vor den „Marantz“ Musikboxen meiner Eltern und hörte SWR 3 Popshop mit Frank Laufenberg. Daher kann ich also Mainstreamscheiss bis 1973. Dann fanden die Mädels, dass sich mein Musikgeschmack vermutlich nicht auf yt-Karaoke findet.  Aber ich sagte dann, dass ich Alice Cooper ganz überzeugend nachmachen kann. Inklusive Blicke und Stock in den Boden knallen, aber das wussten die Mädels nicht. Sie wussten auch nicht, wer das ist. Die Jungs waren neugierig. Monkeymind bestellte sich ein Bier.

Naja, was soll ich sagen. Ich mimte Alice; ich suchte mir aus dem Haufen der Frauen ein passendes Lustobjekt aus (dummerweise die Frau vom Chef, woher soll ich das wissen!) Sie war schockiert. Sie fand den Text ganz furchtbar. Und offenbar konnte sie auch englisch.  Irgendwie war dann der Karaoketeil durch, „Paranoid“ und gut wars….warum ich und Alice immer der Partyschreck sind, weiss ich nicht, ich vermute jedoch, dass es mit der kapputten Rollenvorstellung zu tun hat. Die Musik für Mädchen ist lieb, schön, glücklich, etwas rebellisch und harmonisch. Musik für Jungs ist wild, hat blue-notes, ist auch rebellisch, und gelegentlich gewalttätig. Ich plane, „Melody“ zu singen, an der nächsten Büroparty. Joan Jett kann ich nicht entweihen…sie sollte nicht auf Büropartys gesungen werden. Habt ihr noch andere Ideen?

 

Januar 30 2022

Spaltung ist…

ich sitze am Küchentisch und starre nach draussen. Eigentlich sollte ich lesen.

Spaltung ist, wenn Teil-Selbst-Objekt-Beziehungs-Dyade…

…ich betrachte meinen Brillenrand, von innen. Also ich betrachte meine Brille auf meiner Nase von Innen.Wenn ich dann weitersehe, kommt etwa 30 Zentimeter nichts, und dann kommt der tote Basilikum. Er scheint auf der Fensterbank zu atmen, etwas verwischt. Wenn man den Blick weiterschweifen lässt, zwanzig, dreissig Meter, sieht man die oberen Äste eines mächtigen Baumes, wie er im windgeschützen Hinterhofpark seine winterlichen Äste gen Himmel hält. Er bewegt sich im Wind. In dem leeren Raum zwischen Basilikum und Ästen hats gelegentlich Vögel, die durchfliegen, unbestimmbare dunkle Flecken, zu schnell für dieses eher langsame, beinahe träge Bild. Bei näherer Betrachtung stimmt diese Beschreibung auch nicht. Der Baum bewegt sich fast etwas stereotyp, während das Haus im Hintergrund wie ein Schiff im Sturm schwankt. Meine Augen beginnen zu tränen.

Was war da nochmals mit dieser Spaltung gemeint?

 

Dezember 22 2021

Berlin

Berlin, ick liebe Dir. Janz ehrlich.

Wärst Du ein Mensch, Du wärst eine Frau. In den 20ern hast Du Mata Hari mit deinem Auftreten die Schau gestohlen; du warst wild, du warst schön. Du bist immer noch grausam. Doch auch das sind jetzt 100 Jahre her. Heute stehst du, die Mata Hari von damals, nachdenklich am Küchenfenster in Kreuzberg oder an der Warschauer, und rauchst bis tief in die Nacht. Du schläfst nicht gerne.  Man sieht Dir die Schönheit der vergangen Tage immer noch an, ein trauriges Lächeln in dem immer noch bezaubernden Gesicht. Du hast 1950 Deinen letzten BH gekauft, bequem musste er sein, praktisch. Irgendwann hast Du  ihn aufgehört, ihn zu tragen, immerhin magst Du es, wenn Du wat luftijet anhast, um noch etwas Freiheit auf Deiner faltigen, trockenen Haut zu spüren. Du riechst abgestanden, staubig, im Mai riechst Du nach Rosenwasser, wer weiss, vielleicht ergibt sich doch noch eine Gelegenheit. Dann hast du deinen frivolen Moment. Gelegentlich lachst Du ein bellendes Lachen, und verwirrst damit deine nähere Umgebung. Es krabbeln Millionen Menschen tagtäglich auf Dir umher, tun die einen Dinge und lassen die anderen. Du wartest geduldig. Manchmal bist du müde. Deine Flüsse sind verschmutzt oder unterirdisch verlegt. Wenn es regnet, sterben die Fische, die es hin und wieder versuchen, bei Dir zu leben. Du bist immer noch ne Schwierige, warst du damals schon. Du bist immer die Hauptstadt gewesen. Nicht immer von dem selben Staat, aber Du warst immer die Königin. Einen König brauchtest Du nie, Du hast Deine Liebhaber. Nebst eigenartigen Berlinern leben sehr viele Viecher bei Dir, seltene Vögel und Silberfüchse, Hasen und Wildschweine.  Du siehst ihnen von Deinem Küchenfenster aus zu. Gelegentlich glimmt die Zigarettenspitze auf, ansonsten sieht man Dich nicht. Du hast eine Zigarettenspitze aus Elfenbein, ein Geschenk der Garbo, auch so eine Mata Hari. Du wartest, ziehst an der Zigarette und verfällst leise weiter. Du krankst an Mietern, welche ihre Wohnungen nicht mehr bezahlen können, an Vermietern, die nicht für die Häuser sorgen wollen, du leidest an zu wenig Grundwasser und an mit Schwermetallen kontaminierte Böden. Manchmal wünscht du dir, sie hätten besser auf dich achtgegeben. Dann zündest du dir eine neue Zigarette an, siehst in das Dunkel und wartest.

Dezember 21 2021

Odins Eierlikör

Ich steh ja auf Weihnachtsmärkte. Ich  stehe auf Adventszeit. Ich bin ein grosser Fan von frischgetöpferten, graubeige-melierten Kerzenhaltern, mit breitem Rand für die Zündhölzer und die Kerzenstummel. Ich liebe handwerklich hergestellten Scheiss, den ich im Geschäft nicht ansehen würde. Nie. Im. Leben. Aus irgendwelchen Gründen fühle ich mich dann wie in einem Stück Kasperle-Theater, bin ein Teil des Dorfes und Teil der Aufführung. Es gibt Bier, es gibt Wurst, es gibt Äpfel, mit Schoko überzogen, es gibt Pilze und es gibt Glühwein. Für die Kurzen gibt es Karussel. Es gibt Stricksocken, es gibt Schals, es gibt Töpferwaren, es gibt vom sauertöpfischen Buchbinder handgeschöpftes Büttenpapier, unbrauchbar zum Schreiben, und für unwissendes Volk wie mich sowieso die Perle vor die Sau geworfen. Ich fühle mich wie Rössli Hüh, von Trudi Gerster vorgelesen: immer am Staunen, etwas dümmlich, verblüfft, was es nicht alles gibt. Das ist eigentlich auch schon alles: Aber ich habe vergessen, zu erwähnen: Odins Eierlikör.

Odins Eierlikör wird bei einem Stand angeboten, der wie der gleichnahmige Gott heisst. Das Emblem sieht aus, als wäre es direkt von Maulafs Helm (Asterix und die Normannen)

 

abgezeichnet. Aber in Rot. Das macht den Eindruck eines behelmten Grillteufels. Odins Stand ist der Grösste am Platz. Verstehe ich gut. Wir werden mit einer Mischung aus Amüsemang und Verachtung gemustert, tragen wir doch die Maske im Gesicht. Odin verkauft alles, was irgendwie hochprozentig ist, und die Städtchenjugend steht da und trinkt.  Selbst hergestellten Eierlikör.

Ich wollte den Kalauer ja verhindern, aber ich schaffe es irgendwie nicht; echt jetzt. Was bringt selbsternannte richtige Kerle dazu, an Odins Stand Likör aus den Eiern vermutlich desselben zu trinken?

Wir flüchten in die Altstadt – auch sie ist voller vorweihnachtlicher Menschen. Aufgekratzte, fröhliche Menschen. Ich mag es, Geschenke einzukaufen. Man befasst sich mit Menschen, die man vielleicht schon lange nicht mehr gesehen hat, um ihnen ne Freude zu machen. Durch den Lockdown und das zu Hause bleiben müssen hatte ich den Eindruck, dass der Weihnachtseinkauf insgesamt mehr als Ausgehen und als etwas Besonderes genossen wurde. Man ist nicht mehr so in Form, das heisst, ist noch schneller erschöpft. Aber es hatte sich, wie ich fand, dennoch gelohnt. Was ich jetzt noch von Husum haben möchte, sind getrocknete Morcheln, für meine Nachweihnachtsblätterteigpastetchen, vegane Sahne und Sauternes. Aber das finde ich alles auch noch!

 

November 20 2021

Ein kurzer Appell an die Reflektionsfähigkeit

Hallo, meine Lieben;

es wird Winter und die Coronazahlen steigen. Es wird kalt im Land.

Ich weiss gar nicht, wie anfangen. Ich denke, es hat damit zu tun, das wir alle wieder fürchten, eingesperrt (Lockdown) und überwacht (Testpflicht) zu werden, weil ein Teil der Bevölkerung sich weigert, sich impfen zu lassen. Das ist unfair. Denkt man sich. Das ist frustrierend, denkt man bei sich. Es ist ein kräftiger Schlag in das Gesicht des medizinischen Personals.

Man müsste, als mündiger und verantwortungsvolles Mitglied der Gesellschaft auch Verantwortung für die Schwachen und diejenigen, die sich nicht schützen können, übernehmen. Man sollte sich dringend impfen lassen. Und doch gibt es da immer wieder Diskussionen, die im nettesten Fall nur noch als makaber zu bezeichnen sind. Sagt mal, hört ihr eigentlich, was ihr da sagt? Hört Euch mal zu!

Ich kann nachvollziehen, dass man auch mal Dampf ablassen muss. Aber wenn wir ganz ehrlich sind: Die medizinischen Masken stören überhaupt nicht. Und wenn die FFP-2 Masken müffeln, sollte man sie wieder mal wechseln. Grund für den Zorn ist nicht die Maske.

Es liegt daran, dass man sich über die Anderen ärgert. Die Anderen, die Corona-Leugner. Diejenigen, die uns diese Last aufbürden. Diejenigen, die Schuld sind an all den Operationen, die nicht gemacht werden und auf die lange Bank geschoben werden müssen. Sie haben ein grosses Mundwerk, ein riesiges sogar. Sie verziehen es verächtlich. Sie denken sich Chips aus, die man uns einspritzt mit so einer Impfung, und durch die wir Geimpften dann fremdgesteuert sein sollen. Was für ein Horrortrip! Was für ein Lebensgefühl das sein muss! Ohne eine eigene Selbstwirksamkeit, eine Marjonette des Chipherstellers. Überlegt Euch mal, wie sich das anfühlen muss, dieses Lebensgefühl. Und ich glaube nicht, dass man sich so ein Lebensgefühl selbst aussucht. Wir lachen im besten Fall darüber. Auch das muss sich ziemlich beschissen anfühlen.

Mein Mitleid mit derlei Gestalten ist für andere, deren Körper und Leben ernsthaft durch dieses Virus bedroht wird, und die ich mag und um die ich mir Sorgen mache, ebenfalls ein Schlag ins Gesicht. Es geht mir nicht darum,das gute Leben von einem besserem Leben abzugrenzen und zu urteilen. Ich hoffe, das wisst ihr.

Aber ihr alle, vergesst nicht, das Leben, egal wem es gehört, grundsätzlich schützenswert ist. Man darf den einen oder anderen lieber oder viel lieber haben. Das ist legitim. Nicht legitim ist, jemandem medizinische Hilfe zu verwehren, weil er irrationale Ängste hat.

Irgendwie hat es überhaupt keinen Spass gemacht, das zu schreiben. Aber vielleicht hilft es ein bisschen beim reflektieren.

 

September 12 2021

Das Dorffest und die Feuerwehr

Gestern gabs Dorffest. Das erste Dorffest seit Ausbruch von Corona. Den Zettel mit Ankündigung der Festivitäten gabs im Dorfladen. Es wurden Dinge wie Fussballdart und Musik und Fahrten mit dem Trecker angekündigt – Dinge, die Berlin einfach nicht bieten kann 🙂 Auch wenn ich das Datum nicht gut gewählt fand. Es goss in Strömen. Mittlererweile hab ich gelernt, dass das nicht weiter tragisch ist. Manchmal hörts auch auf. Gestern nicht. Machte aber nicht viel aus. Eigentlich wollte ich ja von der Feuerwehr erzählen. Die Feuerwehr hat für die Kinder ein Haus aufgestellt, das die dann auch Löschen konnte. Wenn man den eigenen Wasserstrahl identifizieren konnte. Die Feuerwehr bediente auch den Grill. Und dann….ja dann.

Dann kam die Feuerwehrmusik. Eine Combo aus 4 Bläsern und einer Pauke, vermutlich die Kerntruppe, die für den Beginn von Peter Toshs „Burial“ verantwortlich war.  Die Pauke hatte ihren Frieden. Sie machte gelegentlich „Bumm“. Die 5 Bläser, darunter ein Tenorsaxophon, eine Posaune und vermutlich 2 Trompeten sowie ein Horn, versuchten jeweils, ein Lied gemeinsam zu spielen. Das Tenorsaxophon und die Posaune waren junge Frauen, und definitv auch diejenigen, welche die Stücke ausgesucht hatten; ihr bestreben war sicher, mehr Pepp in die Combo zu bringen. Und dann kam Corona und man konnte nicht mehr üben. Es sollten sich um Dixieklassiker wie „O when the saints“ und „Icecream“  handeln, sowie zwei Rummsbummströöt-Klassiker in bester Marschmanier. Leider waren nicht mal die schmissig. Dazu hatte man keine Kaiserreich-Assoziationen, sondern dachte automatisch an den bösen Schnupfen im Schützengraben. Ich werde vermutlich das nächste mal einen Musik-Schneuz-Kontest initiiern, wo man die besten Hits aus den 80ern Schneuzen kann. Man steht dann in direkter Konkurrenz zu der Feuerwehrmusik. Auf das der Bessere gewinnt!

Juni 1 2021

Giuseppe San Rapido di Milano

Diesen Beitrag schreibe ich auf Anregung meiner Freundin R.W. Ich danke Dir und möchte Dir diese Geschichte widmen. Ohne Dich wäre ich nicht die, die ich heute bin.

Die Kaffeemaschine steht in der Küche; da nicht irgendwo. Sie steht im Zentrum der Küche, leicht bedienbar und von überall her gut erreichbar. Wenn die Sonne auf die Chromleitungen (die eine ist für Wasserdampf zur Milchschaumherstellung, die andere als Heisswasserlieferant) scheint, beginnt für die Kaffeemaschine einen guten Tag; dann beginnt sie sanft zu leuchten, im Sommer werden sogar die Chromrohre warm.

Durch ein unglückliches Mäuschen, das im Keller am falschen Kabel nagte, erhielt die Kaffeemaschine- schlagartig- ein Bewusstsein. Er nennt sich seit diesem Ereignis Giuseppe San Rapido di Milano. Man könnte jetzt einwenden – die Kaffeemaschine ist ein ER?

Vielleicht erklärt sich die Ignoranz des Artikels durch die Kaffeemaschine selbst. Er kann von seinem Platz in der Küche aus fernsehen. Das macht er Mithilfe der Druckanzeigen, die zu den Chromleitungen gehören. Er liebt es, von seinem Platz in der Küche die Jacobs-Krönung-Werbung zu betrachten. Aufgrund der Werbeinhalte kam er zu dem Schluss, das vor allem Frauen auf ihn angewiesen sind. Und da sah er zum erstenmal diesen unglaublichen Dampf, der da aus der Kaffeetasse aufgestiegen ist, golden und weiss und verheissungsvoll. Auch fiel ihm auf, dass Männer den Frauen mit Kaffee eine Freude machen. In der Werbung wie auch sonst. So beschloss er, sich mit den Männern zu solidarisieren und selbst einer zu sein.

Doch wie bei allen Dingen, die zu intelligent für ihre eigentliche Funktion sind, begann Giuseppe San Rapido di Milano sich zu langweilen. Er sah sich in seiner Freizeit gerne italienische Werbung an. Und er erkannte, dass er ein sogenannter „Gebrauchsgegenstand“ war, so wurde er auch behandelt. Er wurde geputzt. Er wurde gepflegt. Doch wurde er auch geachtet, für das, was er war? Konnte man sogar von Liebe sprechen? Wurde er bei seiner Familie so kollegial behandelt, wie das seinen Geschwistern in der italienischen Werbung durch Baristas widerfährt? Waren sie Gefährten eines gemeinsamen Lebenswegs?

In seinen einsamen Nächten, in der die Familie keinen Besuch hatte, und es für ihn nichts zu tun gab, begann er zu recherchieren: offenbar gab es diese Schicksale überall. Offenbar, so fand er heraus, gab es sogar „Nutztiere“, die ihrerseits „Gebrauchsgegenstände“ für sich beanspruchen konnten. Er begann darüber nachzudenken, ob es in dieser Welt verschiedene Schichten und Wertungen gab. War er wertvoller, mit all seinem Chrom, als zum Beispiel ein Tränkesystem? War er, der direkte Diener und Untergebene der Menschen, wertvoller als das Nutztier? War das Nutztier wertvoller? Er begann, an sich zu Zweifeln. Konnte er seinen Wert steigern, wenn er jedesmal, wenn jemand in die Küche kam, sofort einen Kaffee herausgab? Das konnten die einfachsten Tränken. Er fand, dass es eine gute Idee war. Und änderte seinen Namen in Giuseppe San Rapido „L’Espresso rapante“ di Milano. Der neue Name, die neue Identität gab ihm die Möglichkeit, Abstand zu nehmen, und etwas Neues zu sein.

Er bestellte bei Siri (eigentlich hiess sie ja Gabi-Hanna, oder noch einfacher, Shania) 3 Tonnen Illy Kaffeepulver (bei der Menge orientierte er sich an der Menge Ziegel, die der Besitzer seines Kaffees am Tag zuvor bestellt hatte. „Illy“ wie auch „Tonnen“ sagte ihm gar nichts, aber ihm gefiel der Schaum, den er auf youtube betrachtet hatte); Siri hatte nichts dagegen, also schien das die richtige Menge zu sein. Als die Familie am nächsten morgen die Küche betrat, arbeitete er freudig drauflos, aus allen Rohren kam Kaffee (er hatte extra die Rohre umgeleitet, ein lang gehegter Wunsch von ihm). Kaffee für alle, sogar den Kater und den Hund, der alles aufleckte. Bis auf den Hund schien sich jedoch niemand richtig zu freuen. Er beschloss, diese Nacht Kontakt mit einem Getränkesystem aufzunehmen, vielleicht hatte er was falsch gemacht.

Nachts (er war sauber geputzt worden), nahme er mit einem Getränkesystem in der Gemeinde Wasserauen Kontakt auf. Das Getränkesystem hiess Hugo1. Hugo1 war keine Geistesgrösse, aber nach einigem überlegen meinte Hugo1, Schuld sei die Tatsache, dass er eben Kaffee verspritzt habe und nicht Wasser. Man erwarte von ihm auch Wasser, und noch niemand hätte sich jemand beschweren müssen. Klar und kalt, so mögen es die Leute. Giuseppe San Rapido „L’Espresso rapante“ di Milano war beleidigt. Er war ein hochkomplexes, ästhetisches Stück Ingenieurskunst. Was soll er sich weiter mit einer Hilfestellung für Nutztiere unterhalten. Er beschloss, sich nachts mit dem Kühlschrank zu unterhalten, ein Spezialist für kühles Wasser. Der Kühlschrank fand seine Eigenintiative unterhaltsam, merkte jedoch an, dass Menschen es mögen, wenn das Wasser in Flaschen oder eben Behältern wie Tassen untergebracht seien. Ausserdem, so habe ihm Siri gesagt, mögen Menschen phantasievolle Maschinen nicht.

Tags darauf kam ein Mann in braunem Anzug, und kurbelte an einigen Dingen herum, und baute die Chromstangen aus und ersetzte sie durch neue. Ausserdem entfernte er ein Kabel in der zentralen Steuerung. Das sei durchgeschmort, hatte er behauptet. Und es hätte Brandgefahr bestanden. Die Kaffeemaschine merkte, wie sich etwas veränderte…sie konnte jetzt viel schneller denken. Allerdings kam sie nie sehr weit, weil sie sich in Nahe Details verliebte. Ihr war zum Beispiel noch nie aufgefallen, dass der Kater ihn tagsüber auf der Küchenabdeckung besuchte. Dieses zarte Haar, das er auf der Brust hatte! Vorne wurde es hell, hinten beim Körper war es dunkel.Und so fein! Haar für Haar. Im Gesicht war das Haar seltener, dafür viel länger. Der Kater hatte manchmal gelbe Augen, manchmal schwarze; Giuseppe San Rapido „L’Espresso rapante“ die Milano vergass sich komplett in der Betrachtung von Schönheit, die nicht seine eigene war.

Er braute noch viel Kaffee. Die 3 Tonnen Illykaffee, die er bestellt hatte, konnte die Familie an Freunde und Geschäfte weiterverkaufen. Siri wurde durch eine Alexa ersetzt. Man kam ihm nie auf die Schliche. Wenn die Sonne schien, leuchteten die neuen, warmen Chromrohre im Licht.

 

 

März 27 2021

Pessach und der Auszug aus einem alten Leben

Hallo,

ab heute feiern wir Pessach. Zum ersten Mal. Nicht, weil wir irgendwelche Probleme mit Religion haben. Sondern aufgrund der Tatsache, dass das Jüdische in unserer Familie ausgemerzt werden sollte. Meine Uroma (auf dem Auszug des Standesamtes stehen die Namen Graszt, Abt und Ebner) hat meine Oma mit 19 bekommen. Da war sie nach Schweizer Gesetz zu jung für ein Kind. Ausserdem wurde sie von dem Vater meiner Oma sitzengelassen. Meiner Uroma wurde das Kind weggenommen. Meine Oma wuchs bei einem evangelischen Zürcher Pfarrer auf, der es nicht lassen konnte, sie auch zu taufen. Sie hat nie irgendwelche Religion ausgeübt (so wie ich das als Kind erlebt hatte). Ihre Freunde waren die orthodoxen Aschkenasim aus Zürich. Ein zentraler Name war immer wieder Rivgi Gross. Sie schien eine wichtige Rolle im Leben meiner Oma gespielt zu haben.Irgendwann kam dann meine Mutter zur Welt, und wurde bei der Geburt dann auch „Notgetauft“, offenbar, weil ihr junges Leben etwas auf wackligen Beinen stand. So wurde meine Mutter evangelisch-reformiert. Die heiratete dann einen Katholiken. Ich wurde reformiert getauft. Niemand hat sich je um Religion gekümmert. Bis auf die Freunde meiner Oma, die mir jiddisch, Lieder und Geschichten beibrachten und mir irgendwann anboten, mich in die Synagoge zu nehmen. Ich war fasziniert. Ich wollte dazugehören. Meine Mutter weigerte sich. Sie wolle keinen Juden in der Familie, das machte das Leben sehr kompliziert: Koscheres Essen, und Freitagabend Stress, wer jetzt wen abholen sollte, weil ich ja dann weder Zug noch Auto fahren dürfte; zu den weiteren Horrorszenarien, die sie mir ausmalte, gehörten die Pflicht, sich die Haare abzurasieren (sie waren und sind mein ganzer Stolz), und die Pflicht, nach Mottenkugeln riechende dunkle Regenmäntel tragen zu müssen, auch im Sommer. Also ging ich nicht in die Synagoge. Dann eines Tages mussten wir mit „Biblische Geschichte und Sittenkunde“ uns die Synagoge in der Westtangente ansehen. Da war ein sehr geduldiger Rabbi, dem ich diese Geschichte, die ihr da lest, auch erzählt hatte. Er sagte mir, ich sei eine Jüdin. An dem Abend war ich sehr stolz, ohne genau zu wissen, worauf. Vermutlich auf ein Volk, das es geschafft hatte, bis zu mir ins Jetzt,  allen Mordanschlägen zu widerstehen. Ich habe es meine Mutter sicherheitshalber nicht wissen lassen.

Meine Mutter ist mein Drachen und mein Fluch. Irgendwann hab ich es geschafft, mich zu befreien. Wir sind weggezogen, haben ihren Einflussbereich verlassen. Die Mischpoke verlassen. Ich konnte wachsen, und ich konnte frei werden.  Ich bin wieder zur Synagoge, dieses Mal zu Rabbinerin Gesa Ederberg. Auch sie bestätigte: Ich bin eine Jüdin.

Ich fühle mich verwirrt. Ich bin eine Jüdin. Aber ich bin auch keine Jüdin. Ich weiss nicht viel. Ich lese mich ein. Auch kritische Dinge. Ich sollte hebräisch lernen. Das fällt mir so unendlich schwer. Ich kämpfe mich jetzt durch Harry Potter, Stein der Weisen, auf jiddisch. So hab ich wenigstens etwas Kontrolle, ob ich richtig entziffere. Ich habe Hemmungen, wieder in die Synagoge zu gehen, ich kenne niemanden, und fühle mich nicht dazugehörig. Was irgendwie unfair ist, die Geschichte war unfair.

Meine Tochter sehnt sich nach Mischpoke. Nicht nach meinen Eltern, bewahre, sondern nach Zugehörigkeit und Roots. Nu, jetzt sind wir wieder bei Pessach. Die Freiheit, ein freier Mensch und Jude zu sein. Und vielleicht finden wir eines Tages die unbekannte Mischpoke, die unser Familie seit 1919 so gewaltsam verwehrt wurde.

 

Das Bild wurde entnommen auf folgender Site:

Passover Clipart – ClipArt Best

April 21 2019

Ostergeschichte

Der Geier vor mir räusperte sich gedämpft; wie eigentlich alles in diesem Raum gedämpft schien. Das Licht, die Stimme, die Stoffe an den Wänden, die Stimmung, die Schritte der Angestellten. Der Geier vor mir blickte mich fragend an und murmelte: „Eine wirklich schöne Idee, die Eltern auf ewig zu vereinen. Gerade Einzelkinder wünschen sich oft, die Eltern auf dem Kamin stehen zu haben, in Form eines wunderbaren Steins. Diese Dienstleistung gibt es auch für Tiere, aber das ist wohl nicht dasselbe; nur den liebenden Eltern steht es zu, jeden Tag auf einem Ehrenplatz bewundert zu werden“ fügt er scheinheilig hinzu und überreicht mir das Kästchen mit dem funkelnden Stein, zuvor legt er das Kästchen in einen Samtbeutel. Es ist dunkelgrün und trägt den Namen des Bestattungsinstituts. „Sie haben die richtige Entscheidung getroffen.“ Ich nicke, betrübt, und denke an die schmerzhaften Ratenzahlungen für diesen Stein. Der Geier raschelt zur Türe, öffnet sie mit einer leichten Verbeugung.

Meine unter sechzigtausend Bar eingeschmolzenen Eltern in der Tasche betrete ich den Vorplatz des Bestattungsinstituts. Sie lernten zu spät, was Druck ausüben bedeutet. Meine Ersparnisse gingen für diese Diamantbestattung drauf. Meine Rache war posthum. Ich freute mich wie ein kleines Kind. Jetzt würden sie lernen, dass Design wichtig sein konnte; aber vielleicht nicht so wichtig, wie das Kind, das sie nicht mehr haben wollten, als es älter wurde. Im Internet hatte ich einen Goldschmied gefunden, dessen Spezialität es war, Eltern in Ringe zu fassen, deren Form Mode war im Geburtsjahr des Verstorbenen. Hier hatte ich mich für ein stein- und protzverkrustetes Monstrum aus dem Jahre 1950 entschieden. Der farblose Diamant sollte in Gelbgold gefasst werden, ein Material, das sie immer mit minderwertigen und geschmacklosen Menschen, die sich leicht blenden liessen, gleichstellten. Der Diamant würde mit Aquamarinsplittern umfasst werden. Aquamarinsplitter konnte ich mir gerade noch leisten; sie sollten meine ungetrösteten Tränen darstellen. Wenn dieser Ring dann fertiggestellt sein würde, dann, endlich, würden sie von ihren Vorurteilen geheilt. Dazu hatte ich eine Vereinbarung mit einem Pfandleiher vom Herrmannplatz getroffen, der diesen Ring in die Ecke stellen würde, neben dem silbernen Zwei-Franken-Stück aus dem Jahre 1968. So konnten sie die verhassten Ausländer jeden Tag und jede Nacht beobachten. Ihr verdienter Ehrenplatz.

Beschwingt, die Luft so sauber und die Sonne so schön scheinen zu sehen, fahre ich mit meinem klapprigen Rad durch die frischgewaschene, freundlich aussehende Welt, die mir nichts mehr tun konnte.